Projekt Ikarus 02 - Im Zwielicht
weil er sich bereits mitten in der Verwandlung befand. Jet rief ihre Kräfte und traf ihn mit einem Schattenpfeil. Wolf, der nur mehr halb menschlich war, flog von ihr weg und krachte mit der Schnauze zuerst in die Wand der Gasse.
Beschütze den Normalo.
Jet warf sich auf White Hot, die den Dieb inzwischen auf den Rücken gedreht hatte und sich an seinem Reißverschluss zu schaffen machte. Umwirbelt von Schatten holte Jet Schwung, riss ihre rechte Faust zurück und setzte gleichzeitig das linke Bein nach vorn, im Knie leicht gebeugt. White Hot sah in dem Moment auf, als Jet sich drehte und zuschlug. Die Knöchel ihrer rechten Hand waren bereits auf ihrem Weg zum Schmollmund der Lichtmacht. Als die Faust mit einem fleischigen Geräusch ihr Ziel fand, war das Musik in Jets Ohren.
White Hots Kopf klappte zurück. Einen Moment lang torkelte sie wie eine Betrunkene, dann brach sie zusammen. Und kam nicht mehr hoch.
Niete, dachte Jet und schüttelte ihre Hand aus.
»Runter!«, schrie Meteorite in ihrem Ohr.
Blitzschnell ließ sich Jet auf den harten Beton fallen, wobei sie den Aufprall mit Händen und Armen abfing. Ihr Umhang spannte sich und schnürte ihr die Kehle zu. Dann gab der Schließmechanismus nach. Jet musste das wütende Knurren und das Schnappen von Zähnen gar nicht hören, um zu wissen, dass Wolf seine Verwandlung zum Raubtier abgeschlossen hatte. Stoff riss, und sie zuckte zusammen.
»Ich mochte diesen Umhang«, murmelte sie. Dann sandte sie ihre Creeper in das dunkle Material hinein. Die Falten kräuselten sich, als der Schatten in den Stoff eindrang. Die Kapuze richtete sich von selbst auf, als wäre sie ein lebendes Wesen, während sich der Rest des Kleidungsstücks um Wolf wickelte.
Jet kam wieder auf die Füße. Ihr war ein wenig schwindelig, und sie musste schwer schlucken, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Sie hatte zu viel von ihrer Kraft ausgeschickt. Sie musste ausruhen.
Bald, dachte Jet und spürte, wie sich hinter ihren Augen Kopfschmerz breitmachte. Bald nehme ich mir ein paar Tage frei. Gleich, nachdem sich dieser Wahnsinn hier ein bisschen gelegt hat.
Wann immer das auch sein mochte.
Sie ging hinüber zu dem Bündel, das Wolf war, und konnte nicht umhin, beeindruckt zu sein, wie heftig er sich immer noch wehrte. Die meisten – Menschen wie Außermenschliche – ergaben sich der lähmenden Kälte des Schattens ziemlich schnell. »Hey«, sagte sie und stieß Wolf leicht mit dem Fuß an, »komm schon, du Zottelvieh. Ganz ruhig.«
Wolf brüllte und griff wieder an, schlug nach ihr sogar unter dem Schattenmantel, der ihn bedeckte. Es spielte keine Rolle, dass die Geräusche gedämpft waren oder dass die Krallen weder den Stoff noch Jets Macht durchdringen konnten. Sie machte trotzdem unfreiwillig einen Satz rückwärts.
»Verräterin!«, heulte Wolf und stürzte sich auf sie.
Jet trat zur Seite und sah traurig zu, wie das Bündel auf dem zerschmetterten Beton landete. Jetzt mit Wolf zu kämpfen war etwas ganz anderes als die Übungskämpfe auf der Akademie. Damals waren all seine Angriffe von schmutzigen Witzen und Anzüglichkeiten begleitet gewesen, die beinahe an sexuelle Belästigung grenzten. Das hier dagegen war todernst. Wenn er freikam, würde er ihr an die Kehle springen.
Aber der Schatten hielt stand. Wolfs Umriss unter Umhang und Kapuze erbebte, dann wurde er still. Das Material legte sich, glitt hin und her, bis unter dem schwarzen Stoff die Gestalt eines Mannes erkennbar wurde.
Jet seufzte. Das Herz war ihr schwer, die Schultern gebeugt vor Erschöpfung. »Ich bin keine Verräterin«, sagte sie mit sanfter Stimme. Aber nach all den Kämpfen gegen frühere Kollegen – und jetzt sogar gegen ehemalige Freunde – fragte sie sich, ob Wolf nicht recht hatte.
recht recht…
Hinter den Gläsern der Optibrille weiteten sich Jets Augen. Nein, nein – oh bitte, Licht, nein! Dafür war es zu früh.
bald bald süßes mädchen süßer Schatten lieblich wie brechende knochen wie tote blätter wie
Jet biss die Zähne zusammen und rief den Schatten zurück, ließ ihn über ihren Körper gleiten und in ihre Haut einsinken. Die Schattenstimmen verklangen zu einem Wispern, das ebenso gut das Flüstern des Windes hätte sein können. Aber Jet wusste es besser.
Noch bin ich nicht verrückt, sagte sie zu sich, als sie nach ihrem zerrissenen, vollgesabberten Umhang griff. Sie stöhnte auf. Nein, sie hatte sich diesen Stimmen nicht ergeben. Noch nicht. Nie mehr, versprach sie
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