Projekt Wintermond
Tochter?«
»Wird zurück nach Moskau geschickt. Zu Verwandten, wenn es welche gibt. Sonst kommt sie in ein Waisenhaus.«
»Spricht sie Englisch?«
»Die Mutter? Ja, ganz gut, und sie ist nicht dumm. Du brauchst keinen Dolmetscher. Aber wenn du einen haben möchtest, besorge ich dir jemand.«
Jennifer schüttelte den Kopf und packte ihre Sachen zusammen.
Die Tür zum Verhörzimmer fiel ins Schloss. Jennifer betrachtete die junge Frau, die sich zögernd hinter dem Holztisch erhob. Sie sah jünger aus, als Jennifer erwartet hatte. Mit den blassen Wangen und den großen, unschuldigen Augen hätte sie als Achtzehnjährige durchgehen können. Ihr billiges blaues Wollkleid war abgetragen und an einigen Stellen geflickt. In ihren vom Weinen geröteten Augen spiegelte sich tiefste Verzweiflung.
Jennifer reichte ihr die Hand. »Hallo, Nadia. Mein Name ist Jennifer March. Ich wurde als Ihre Anwältin bestimmt. Verstehen Sie, was ich sage?«
Die junge Frau begrüßte sie mit zitternder Hand. »Da … ich verstehe Sie gut.«
»Ist alles in Ordnung?«
In den Augen der jungen Russin schimmerten Tränen.
»Ich möchte meine Tochter sehen.«
»Vielleicht kann ich es später einrichten, aber jetzt müssen wir zuerst miteinander reden. Setzen Sie sich, Nadia.«
Jennifer zog sich einen Stuhl heran und nahm der jungen Frau gegenüber Platz.
»Ich kann Sie nicht bezahlen«, sagte Nadia. »Ich habe kein Geld.«
»Keine Sorge. Die Stadt New York übernimmt die Gerichtskosten. So verlangt es das Gesetz. Sie haben das Recht auf einen Anwalt, der Ihre Verteidigung übernimmt, auch wenn Sie Ausländerin sind, die illegal in die USA eingereist ist und die keine erkennbaren finanziellen Mittel hat. Haben Sie mich verstanden, Nadia?«
Die junge Frau nickte.
»Sie wurden mit einer großen Menge Heroin geschnappt. Außerdem trugen sie ein totes Baby bei sich, das möglicherweise zum Zweck des Heroinschmuggels getötet wurde. Das sind sehr schwer wiegende Beschuldigungen. Deshalb wäre es das Beste, wenn Sie mir die Wahrheit sagen. Erzählen Sie mir alles von Anfang an.«
Nadia Fedow rieb sich die Augen. »Ich arbeite in Moskau in einem Nachtclub. Vorher habe ich Wirtschaftswissenschaften studiert, aber keinen Job bekommen. Deshalb habe ich in dem Nachtclub angefangen. Manchmal kommen zwei Männer in den Club, die mit dem Geld nur so um sich werfen. Sie beobachten mich immer. Eines Tages sagt einer zu mir:« Würde es dir gefallen, zehntausend Dollar zu verdienen? »Ich habe ihn gefragt, was ich dafür tun muss. Die Männer sagten mir, dass ich irgendetwas nach New York bringen soll und dass sie mir und meiner Tochter einen russischen Reisepass mit einem amerikanischen Visum geben würden. Ich habe sie gefragt, was ich hierher bringen soll. Etwas Wichtiges, sagten sie.« Nadia hielt kurz inne. »Zehntausend Dollar sind sehr viel Geld . und ich dachte, mit dem amerikanischen Visum könnte ich vielleicht in den USA bleiben und müsste nie mehr nach Moskau zurück. Darum habe ich den Männern gesagt, dass ich es mir überlege.«
Jennifer ermunterte sie fortzufahren.
»Ein paar Tage später kommen die beiden wieder in den Nachtclub und sagen mir, dass ich . dass ich ein totes Baby mitnehmen muss. Es würde als mein eigenes Kind in meinen Reisepass eingetragen. In dem Leichnam wären Drogen versteckt. Ich war fassungslos und bekam schreckliche Angst. Ich fragte die Männer, woher sie das tote Kind hätten. Sie sagten, das ginge mich nichts an. Aber allein die Vorstellung, im Körper eines toten Babys Drogen zu schmuggeln . es war grauenhaft, unvorstellbar. Ich sagte, dass ich so etwas niemals tun würde. Daraufhin haben die Männer mich geschlagen . haben gesagt, sie würden meiner Tochter etwas antun und sie töten, wenn ich nicht tun würde, was sie verlangen. Wenn ich das Baby . das Rauschgift . nach Amerika schmuggle, würde ich das Geld bekommen, und mir und meiner Tochter geschähe nichts. Also habe ich getan, was sie von mir verlangten…«
»Was sollten Sie nach Ihrer Ankunft in New York mit dem toten Baby machen?«
»Die Männer sagten, dass in einem Hotel in der Nähe des Flughafens Leute auf mich warten. Ich selbst kenne die Leute nicht, aber sie wissen, wer ich bin. Sie sollten mir das Baby abnehmen und mich bezahlen. Danach, sagten die Männer mir, könne ich den Reisepass behalten und gehen, wohin ich will .«
Jennifer beugte sich vor und sah der Russin ins Gesicht. »Ist das die Wahrheit, Nadia?«
Nadia Fedow
Weitere Kostenlose Bücher