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Prokopus

Prokopus

Titel: Prokopus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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Gewänder angetan. Über dieselben war ein kurzes, rosenrotes seidenes Mäntelchen geworfen. Auf dem Haupte hatte sie nichts als die schönen blonden, reichlichen Locken. Sie war in das letzte ihrer Zimmer, das an den Balkonsaal stieß, gegangen, war in den Saal getreten, und man wußte nicht, wollte sie an und für sich auf den Balkon hinausgehen, weil es ihr einladend erschien, oder war sie nur zufällig in den Saal gekommen und zaudere nun, ob sie zurückkehren oder hinaustreten solle, da sie ihren Gatten dort stehen sah und vielleicht meinte, er trauere.
    Prokopus, da er sie erblickt hatte, ging in den Saal hinein und nahm sie, ohne zu sprechen, bei der Hand, die zitterte.
    Die zwei Frauen, welche sie herbegleitet hatten, gingen in die Gemächer zurück.
    Sie konnten nun, da sieallein waren, noch weniger sprechen. Prokopus zog sie sanft gegen sich und führte sie auf den Balkon hinaus, auf dem sie in der Beklommenheit bis an den Rand hinvor gingen.
    »So bist du jetzt hier auf dem Schlosse, Gertraud«, sagte er, »auf dem du immer und immer leben wirst.«
    »Es ist schauerlich«, antwortete sie, »wir schweben ja mit dem Berge nur in der Luft, und rings um uns ist nichts.«
    »Es ist schon etwas«, erwiderte er, »du siehst es nur nicht, weil es Nacht ist: recht schöne Berge und sanftes Land liegt in einem Ringe herum und grüßt zu jeder Zeit hold entfernt herauf.«
    »So meint Ihr, daß ich morgen hier Länder und Berge sehen werde, wie aus den Fenstern des Stauenfels?« fragte sie.
    »Ich
meine
nicht«, antwortete er, »es ist gewiß, du wirst sie sehen und dich daran erfreuen. Auch den Berg, den wunderbaren, mit seinen Kuppen, Zacken, Gebüschen und Werken wirst du lieben. Das Gebäude, in dem wir stehen, ist viel größer, als du ahnst oder heute abends erblicken konntest; es geht in sehr schöne Trümmer aus, hinter denen ein merkwürdiger Garten ist, dort schaut sanft der glatte Sixtusbau herüber - da unten sind die weißen Häuschen und die Mauerwerke - da ist der Eichenwald - dort gesellen sich die Linden. Und an dem Kegelgipfel steigen die Fichten empor.«
    »Ihr werdet mir das alles zeigen, verehrter Gemahl«, sagte sie.
    »Ja, ich werde es dir zeigen«, antwortete er - »liebe, liebe Gertraud, bist du mir denn auch so gut?«
    »Ja, ich liebe Euch sehr«, erwiderte sie.
    »Siehst du«, sagte er, »wie gut es nun ist, daß wir hier stehen, wir ganz allein, daß die Menschen abgefallen sind, die uns den ganzen Tag umgeben haben - wie verwandt sie uns auch sind, sie sind uns dennoch fremd - du hast mir heute nicht angehört, - ich habe nur selten dein liebes, süßes, holdes Auge sehen können und durch den grünen Schleier nur manches Mal dein teuer verehrtes Angesicht erblickt. Den Schleier, welchen du heute getragen hast, mußt du mir als Angedenken an diesen Tag geben.«
    »Nimm ihn«, sagte sie leise, »er liegt auf dem Ankleidetische.«
    »lch werde ihn mir nehmen«, sprach er, »und wenn ich uralt bin, werde ich ihn noch als unerreichbares geliebtes Kleinod auf dem Herzen tragen. - - Du bist müde von dem Reiten des heutigen Tages, Gertraud, auch könnte dir die Kälte der Nacht schädlich sein - komme.«
    Mit diesen Worten führte er sie in die Tiefe des Balkons zurück und ließ sie auf eine Ruhebank niedersitzen. Wie sie sich auf die weiche Rücklehne des Samtes zurückließ, war sie in der Dunkelheit des Balkons wie ein kleines weißes Häufchen, das sich duckt. Er setzte sich neben sie.
    »Wie seltsam es in der Welt ist«, sagte er, »da stehen die stillen Sterne vor uns - sie haben schöne Namen, siehst du, die sieben, die da an dem Rande des Samtes stehen, sind der Wagen mit der hochgekrümmten Deichsel, dort sind die Petrusstäbe, diese da sind gar das Haar eines schönen Weibes, das einmal in Griechenland gelebt hat - alle haben Namen, ich werde sie dir einmal sagen - da stehen die stillen Sterne; dort unten, wo das trübe rote Licht sich durch die Bäume stiehlt, sind einige Menschen, die sich vergnügen, weil sie Wein trinken, andere liegen schon in dem starren, unempfindlichen Schlafe, und wir zwei sitzen hier oben mit unserem Glücke.«
    Weil er ein leises Beben in ihren Gliedern fühlte, so meinte er, sie fürchte ihn. Er rückte deshalb einen Schemmel zurechte, stand auf und setzte sich auf denselben ihr gegenüber zu ihren Füßen nieder, so daß sein Haupt viel tiefer war als ihres. Das Licht des Saales, welches früher an ihnen vorbei unsichtbar in die Luft hinaus gewandelt war,

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