Prolokratie: Demokratisch in die Pleite (German Edition)
unerfreuliche Maßnahmen zuzumuten, ohne dass das politische System instabil wird.
Bestehen die westlichen Demokratien diesen Test nicht oder nicht hinreichend und können der Krise zu wenig adäquate Lösungsansätze entgegensetzen, während autoritäre Staaten wie China oder Russland weiterhin robustes Wachstum aufrechterhalten, wird es für die Demokratie unerquicklich. Denn dann werden sich in Europa mit hoher Wahrscheinlichkeit Politiker eines neuen oder vielmehr alten Typus in der Öffentlichkeit fragen, ob nicht auch hierzulande etwas mehr Führung und etwas weniger »Parteiengezänk« wünschenswert wären.
Taumelt der Westen immer tiefer in die selbstverschuldete Schuldenkrise, dräut wohl ein für Europa heute neuartiger Systemwettbewerb herauf, ausgetragen zwischen den Anhängern eher autoritärer, wenig demokratischer Systeme und den verbliebenen Anhängern der Demokratie, wie wir sie kennen.
Wie dieser Wettbewerb ausgeht, ist höchst unsicher. In wirtschaftlich wirklich schlechten Zeiten hat die Demokratie meist keine besonders guten Karten, die gesellschaftlichen Probleme zu lösen.
Das gilt umso mehr, als sie sich seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 als nicht rasend effizient in der Krisenbewältigung erwiesen hat. Anstatt die unvermeidlichen Wohlstandsverluste, die durch jahrzehntelange Schuldenexzesse unvermeidlich geworden sind, mutig und mit zusammengebissenen Zähnen zuzulassen, und zwar so früh wie möglich, um sie so klein wie möglich zu halten, schob die Politik in den USA wie in der Europäischen Union die Probleme in die Zukunft und vergrößerte sie damit massiv. Aus Angst vor dem Wähler kaufte die politische Klasse Zeit, indem sie die Schuldenkrise mit noch mehr Schulden zu bekämpfen suchte. Das ist ein geradezu klassischer Fall von Demokratieversagen in großem Stil.
Noch sind es vor allem atmosphärische Indizien, die darauf hindeuten, dass die Demokratie im Fall einer weiteren Verschärfung der Krise eher hilflos in der Gegend herumstünde, anstatt energisch und ohne allzu viel Scheu vor dem Risiko unpopuläre, aber notwendige Maßnahmen zu ergreifen.
Hauptursache dieser Entscheidungsschwäche ist, dass die Jessicas und Kevins aller Nationen ihren Politikern recht unmissverständlich signalisieren, dass sie an der Realität nicht wirklich interessiert sind und jeden abzuwählen gedenken, der diese Realität zur Kenntnis nimmt.
IV. Hilfe, mein Wähler verblödet mir unter der Hand – oder: Warum Demokratie ohne kluge Wähler zu unklugen Ergebnissen führt.
W ann hat der Zweite Weltkrieg eigentlich stattgefunden? Nein, keine Details, nicht die genauen Jahreszahlen von Kriegsbeginn und Kriegsende, bloß das richtige Jahrhundert des großen Schlachtens. Also, 20. Jahrhundert? 19.? Oder schon früher, im 18. Jahrhundert?
Hm, nicht ganz leicht zu sagen, jedenfalls nicht für so manchen deutschen Studienanfänger mit einem positiven Abiturzeugnis im Rucksack. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie über die »Studierfähigkeit« angehender Philosophiestudenten, und damit junger Wähler, an philosophischen Fakultäten deutscher Universitäten 2011. Durchgeführt wurde die Studie von dem Mediävisten Gerhard Wolf, damals Vorsitzender des »Philosophischen Fakultätentages«.
Die Forscher stießen nicht nur auf Abiturienten, die erhebliche Schwierigkeiten haben, den Zweiten Weltkrieg auch nur annähernd chronologisch zuzuordnen. Ebenso bemängelten sie mangelnde Rechtschreibkenntnisse sowie eine unterentwickelte Fähigkeit, sich einigermaßen adäquat zu artikulieren. Studienleiter Wolf in der Wochenzeitung »Die Zeit«: » Da ihnen die handwerklichen Analyseinstrumente und das historische Kontextwissen oft fehlen, versuchen sie es mit ihren subjektiven Empfindungen. Wenn man aber an Goethes Werther wie an einen Harry-Potter-Roman herangeht, erleidet man schnell Schiffbruch. Generell besteht eine mangelnde Fähigkeit, selbständig zu formulieren, zusammenhängende Texte selbständig zu schreiben und unterschiedliche Stilregister zu bedienen. «
Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kam auch eine Untersuchung der Freien Universität Berlin über das Geschichtsverständnis deutscher Schüler. Nur jeder dritte Schüler weiß demnach, dass die Berliner Mauer von der DDR gebaut wurde und nicht etwa von der Bonner Regierung. Über 70 Prozent aller Schüler finden es toll, dass in der DDR jeder einen sicheren Arbeitsplatz gehabt hat. Außerdem, meinen die
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