Promenadendeck
aufsteigen, um Zurückbleibende aufzusammeln. Er kannte das; von einer Gruppe mit zweiundvierzig Teilnehmern machte mindestens einer schlapp. Er tippte auf de Angeli, den mittlerweile von allen Ehemännern gehaßten Playboy. Der elegante Franzose stand etwas still, zu still, in der Gruppe und bemühte sich, dümmlich in die Gegend zu lächeln. Ab und zu blinzelte er verstohlen Erna Schwarme an.
Der Aufstieg begann. Es ging einen schmalen Pfad entlang, zwischen kahlen Felsen und Moosgeflecht, kriechenden Nadelhölzern und wettertrotzenden Flechten. Für den einheimischen Führer war das ein Spaziergang; wer hier geboren war, dem bedeuteten 4.000 Meter keine Höhe. Die keuchenden Europäer hinter sich verstand er nicht; sie schleppten sich den Berg hinauf, nahmen die für sie ungewohnten Strapazen auf sich, husteten und röchelten, und dann standen sie auf dem Aussichtspunkt, mit weichen Knien und hervorquellenden Augen – und das alles nur, um ein paar Fotos zu machen hinunter in die grünen Täler, seitwärts zu den anderen Andenbergen, hinauf zum bläulich in der Sonne schimmernden, gletscherüberzogenen Kuppelgipfel des Chimborazo. Das alles konnte man unten in Quito billiger und bequemer als Postkarte kaufen. Die Fremden haben schon einen Stich, glaubte er und bedachte nicht das ungeheure Gefühl des Triumphes, wenn man wieder zurück in Deutschland war und Verwandten, Bekannten und Freunden die Fotos zeigte: Hier, ich war auf dem Chimborazo, und toll war es und dünn war die Luft … Der Neid in den Augen der anderen war dann der Balsam, der alle Anstrengungen verschönte.
Nach ungefähr zweihundertsiebzig Metern blieb Dr. Schwarme stehen, faßte seine Frau Erna unter und ließ die Gruppe an sich vorbeikeuchen. Als François de Angeli bei ihnen anhielt und fragte, ob er helfen könne, antwortete Dr. Schwarme mit grober Stimme: »Nein!«
Dr. Paterna, als letzter an die Biegung kommend, hinter der die Gruppe verschwunden war, musterte das Ehepaar Schwarme mit schnellem, fachmännischem Blick. Sie sahen nicht so aus, als habe die Höhenkrankheit sie gepackt. Bei Knut de Jongh war das anders. Die dünne Luft wirkte wie Sekt auf sein Blut. Er wurde plötzlich euphorisch, begann laut zu singen und hüpfte, statt zu gehen. »Am Chimborazo wächst ein alter Dattelbaum – datteldatteldie, datteldum …« sang er. Der Text war zwar falsch, auch schon vom Dichter her, denn in ganz Ecuador gibt es keinen Dattelbaum, aber wen kümmerte es? Nur Sylvia schämte sich, zupfte Knut am Hemd und zischte ihm zu: »Halt doch den Mund!« Aber das nutzte gar nichts. Im Gegenteil, de Jongh nahm es auf und brüllte: »Halt den Mund, mein liebes Kind, denn wenn wir zusammen sind, geht es hü und geht es hopp, erst im Trab, dann im Galopp …«
Der einheimische Führer starrte ihn fassungslos an. Eine solche Art von Höhenkoller hatte er noch nicht erlebt. Die meisten Fremden lehnten sich an die Felsen und blickten starr vor sich hin oder begannen, wie Betrunkene herumzutorkeln.
Die drei alten Damen mit ihren Stöcken hatten sich an die Spitze gesetzt. Ihre Augen glänzten abenteuerlustig. Nicht eine Spur von Ermüdung oder Atemnot. Ihnen folgte Ludwig Moor, auch hier – wie bei seinem Tausend-Meter-Lauf auf dem Promenadendeck – in kerzengerader Haltung, das Kinn vorgeschoben, die Miene unbewegt. Ein preußischer Beamter hält alles durch.
Dr. Paterna schob die Arzttasche nach vorn. »Kann ich helfen?« fragte er Dr. Schwarme. »Keine Luft mehr?«
»Doch. Es geht noch.« Schwarme lächelte verzerrt. »Lassen Sie sich nicht aufhalten, Doktor. Vielleicht brauchen die anderen Sie nachher. Wir bleiben hier, bis Sie zurückkommen. Uns genügt die Aussicht von hier völlig.«
»Sie brauchen wirklich keinen Sauerstoff?«
»Nein, danke, Doktor.«
»Und Sie, Frau Schwarme?«
»Mir geht es gut. Ich könnte weiter aufsteigen, aber mein Mann will es nicht. Gehorsam wie ich bin, bleibe ich also bei ihm.«
Dr. Paterna lachte und setzte sich wieder in Bewegung. »Bis nachher!« rief er noch und verschwand dann um die Biegung. Er hätte nicht gelacht, wenn er Dr. Schwarmes Gedanken hätte lesen können.
»Das war wieder eine saudumme Bemerkung!« sagte Schwarme böse zu seiner Frau. »Du stellst mich hin als einen Schlappschwanz!«
»Bist du mehr?« fragte sie schnippisch zurück. »Jetzt stehe ich hier rum …«
»Du wärst wohl lieber bei deinem François?!«
»Er hält durch! Er hält immer durch!« sagte sie anzüglich. »Er ist
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