Promenadendeck
Augen schwankte die Landschaft. Knut de Jongh stand wie eine Säule und grölte: »Warum ist es am Rhein so schön …« Alle fanden das hier auf dem Chimborazo denkbar unpassend, aber man nahm es hin. Selbst Sylvia hatte es aufgegeben, ihren Mann zu beruhigen; sie stellte sich ein wenig in Positur, weil sie sah, wie Hans Fehringer sie fotografierte, mit den Anden im Hintergrund, und setzte ihr verführerisches Lächeln auf. Und die euphorische Stimmung wurde zur Begeisterung, als auch noch ein Kondor vorbeischwebte, majestätisch und lautlos, mit den breit gespannten Flügeln im Aufwind gleitend, ein König der Berge.
»Ungeheuer!« sagte Ludwig Moor und filmte den Kondor. »Verflucht, ist das schön.«
An diesem Ausbruch erkannte man, daß auch ihn der Höhenrausch nicht verschont hatte.
Der Fremdenführer blickte wieder anklagend auf seine Uhr. Stewardeß Barbara klatschte in die Hände: »Wir müssen wieder heimwärts, meine Herrschaften!«
»Hören Sie auf mit dem dämlichen Klatschen!« schrie Ludwig Moor. »Sie vertreiben ja meinen Kondor. Da, sehen Sie, er dreht ab! Habe ich für diesen Ausflug 1.700 Mark bezahlt, um mich herumhetzen zu lassen?!«
Alle staunten, man kannte Moor nicht wieder. Diese dünne Luft, die Sekt aus dem Blut macht … Wie Menschen sich doch wandeln können!
»Wir haben nun mal ein Zeitlimit.« Stewardeß Barbara lächelte Moor ganz lieb an. Duldsamkeit gehört zum Beruf einer Stewardeß. »Wir wollen doch heute abend wieder an Bord sein. Da geht es um Minuten; das Flugzeug nach Guayaquil wartet nicht unsertwegen. Es tut mir auch leid, aber wir müssen aufbrechen!«
Die drei alten Damen bildeten mit ihren Stöcken wieder die Spitze. Sie waren putzmunter, hatten sich gegenseitig fotografiert und dann zum Gruppenbild zusammengestellt, das Dr. Paterna knipste. »Wenn das unsere Männer noch erlebt hätten«, sagte eine von ihnen, »wir auf dem Chimborazo!« Wie viele Witwen dachten sie nicht daran, daß sie dann nicht hier stehen würden und daß nur ihr Witwendasein es ihnen erlaubte, solche Reisen zu unternehmen. Sie waren reiche Witwen; was die Ehemänner ihnen nach schwerer Arbeit hinterlassen hatten, würden sie nicht kleinbekommen. Ein lobendes Gedenken am Chimborazo waren sie also schon wert.
Beim Abstieg dann passierte es: Barbara Steinberg, die bis jetzt den Kontakt mit Dr. Paterna vermieden hatte, stolperte über einen Stein, und ihr Fuß knickte um. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lehnte sie sich an die Felswand und hob das linke Bein hoch. Paterna war sofort bei ihr.
»Was hast du?«
»Ich … ich bin umgeknickt. Der Knöchel … so etwas Dummes.«
Sie hielt den Fuß hoch. Paterna kniete sich vor sie und untersuchte den Fuß, der schon anzuschwellen begann. Die Umgebung des Knöchels wurde glasig. Dr. Paterna öffnete seine Notfalltasche.
»Schlimm?« fragte sie und biß sich auf die Zähne.
»Auf jeden Fall verstaucht. Ob angebrochen, das sehen wir erst beim Röntgen.«
»Es tut höllisch weh, Mario.« Sie stützte sich auf seine Schultern. »Es tut mir so leid. Jetzt bin ich für euch nur eine Belastung.«
»Red nicht so dumm, Barbara. Ich lege dir jetzt einen Stützverband an, und dann werden wir sehen, wie wir dich zum Flugzeug bringen. Im Hospital an Bord ist dann alles einfach.« Er sah hinunter zu der Gruppe, die angehalten hatte und hinaufstarrte. Stewardeß Barbara drängte sich vor. »Was ist passiert?« rief sie.
»Fräulein Steinberg ist mit dem Fuß umgeknickt.« Dr. Paterna riß die Packung der Stützbinde auf. »Ich brauche einen starken Mann. Wir müssen die Verletzte zum Bus tragen.«
Ohne Zögern traten Knut de Jongh und Ludwig Moor vor. »Sie?« fragte de Jongh und musterte Moor. »Sie haben Muskeln, als Beamter?« Er beugte die Arme und ließ seine Schmiedemuskeln springen. »Sehen Sie mal her. Das sind Klötze!«
»Die einen haben's im Kopf, die anderen im Bizeps!« sagte Moor kühn. Die Höhenluft machte ihn zu allem anderen auch noch mutig.
»Sie wechseln sich ab, meine Herren!« Dr. Paterna ging wieder in die Knie und stellte Barbaras linkes Bein vorsichtig auf seinen Schenkel. »Es gibt genug zu tragen bis Guayaquil …«
Der weitere Abstieg dauerte um die Hälfte länger als der Aufstieg. De Jongh hatte Barbara Steinberg auf den Rücken genommen; sie klammerte sich an ihn, die Beine nach vorn, die Arme um seine Schultern gelegt; ein lebender Rucksack, der Knut sogar Freude bereitete. Sylvia ging nun an der Spitze. Es war eine
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