Promenadendeck
nichts! Herr Dr. Schwarme …«
»Das wird ein Nachspiel haben!« Dr. Schwarme hob den Zeigefinger in uralter Drohgebärde. »Verlassen Sie sich drauf. Ein rasantes Nachspiel. Ich werde alle Passagiere in den Sieben-Meere-Saal laden und sie aufklären. In Deutschland werde ich in der Presse …«
»Ich rufe die Kontrollgänger«, sagte der Mann von der Nachtwache begütigend. »Die werden nachsehen. Deck C. Todesschreie. Zwei. Die werden sich freuen. Meine Herren, gehen Sie zu Bett. Es wird alles geregelt.« Er griff zum Telefon, wählte eine Nummer – es war die vom Fotolabor, wo jetzt natürlich niemand arbeitete – und sagte, unter den kritischen Blicken von Dr. Schwarme und Ludwig Moor: »Jan, kannste mal mit deinem ganzen Trupp das ganze Deck C durchsuchen? Da hat jemand geschrien. In Todesangst. Ich hab' hier zwei Zeugen. Ja, die Namen notiere ich mir.« Er tat so, als höre er eine Antwort, und sagte dann zu Dr. Schwarme: »Die Kontrollgänger gehen sofort hinunter und sehen nach. Ihren Namen bitte?«
»Dr. Schwarme, Kabine 018.«
»Ludwig Moor, Kabine 382.«
Der Mann hinter der Theke nickte. »Ich nehme an, der Herr Kapitän wird Ihnen persönlich eine Aufklärung geben. Gute Nacht!«
Zufrieden gingen Moor und Dr. Schwarme zum Lift zurück. »Man muß nur energisch genug sein«, sagte Dr. Schwarme selbstgefällig. »Energisch und sicher! Das imponiert den Leuten. Nie nachgeben bei solchen subalternen Typen! Na, ich bin gespannt, was uns der Kapitän morgen früh sagt. Solche Schreie kann er nicht einfach wegwischen oder bagatellisieren.«
Der Lift zischte, und die zufriedenen Herren ließen sich zu ihren Decks fahren.
Die Aufgabe eines Kapitäns ist vergleichbar mit der eines Bürgermeisters. Daß ein Schiff von San Francisco durch den Pazifik nach Hongkong fährt, ist selbstverständlich. Dafür hat er die besten nautischen Instrumente an Bord und ein halbes Dutzend Offiziere, Radar und genaue Seekarten. Darüber spricht man nicht, es ist sein Job. Aber damit ist es nicht getan. Was rundherum im Schiff geschieht, ist viel dramatischer als etwa die Slalom-Hafeneinfahrt von Nawiliwili . Sechshundert Passagiere und dreihundert Mann Besatzung über einige Wochen hinweg im engen Raum zusammenleben zu lassen, bei allen Unzulänglichkeiten und Unwägbarkeiten des menschlichen Wesens; viele, viele Tage lang eine kleine schwimmende Stadt unsichtbar und unmerklich zu regieren; tagtäglich kleine und große Sorgen sich anzuhören und sie zu glätten; berechtigte Beschwerden und rechthaberische Meckereien aufzunehmen; die Disziplin der Mannschaft zu kontrollieren, ganz zu schweigen von den gesellschaftlichen Verpflichtungen vom Cocktail über Geburtstagsfeiern bis zu privaten Empfängen bekannter Persönlichkeiten … das alles ist nur ein kleiner Teil der Pflichten, die der Bürgermeister, hier Kapitän genannt, ableisten muß. Genaue Kenner der Materie aber wissen, daß der schlimmste Ärger, der die Nerven anfrißt und aufreibt, von der Reederei kommt. Die ist zwar weit weg in Deutschland, aber per Funk und Telefon immer an Bord gegenwärtig. Und völlig ungemütlich wird es, wenn einer der Vorstände auch noch als Passagier mitfährt. Es gibt Kapitäne, die das als eine raffinierte Bestrafung ansehen.
Auch Horst Teyendorf war an diesem Morgen in der Stimmung, seiner Reederei zu funken: »Ich lehne von jetzt an jede Verantwortung ab!«
Der Urheber des aktuellen Ärgers stand etwas zerknittert in der Kapitänswohnung, umringt von Hoteldirektor Riemke, Cruisedirektor Manni Flesch und Showmaster Hanno Holletitz. Der Cruisedirektor auf einem Schiff ist verantwortlich für die Unterhaltung an Bord. Er organisiert die Bordfeste und die Gastspiele der Künstler, kümmert sich um das Bordfernsehen, spricht zweimal am Tag die Nachrichten, die per Funk aus Deutschland kommen, und veranstaltet Tauchwettbewerbe mit seriösen, im Privatleben als Vorgesetzte gefürchteten Herren, die hier jauchzend ins Schwimmbecken springen und Blechlöffel herausholen. Es gibt Tischtennisturniere und Schachmeisterschaften zu betreuen sowie Mal- und Kunstgewerbekurse. Vor allem aber ist ein Cruisedirektor dazu da, als Prellbock allen Unmutes zu dienen, den gelangweilte Passagiere mit sich herumschleppen. Denn spätestens nach fünf Tagen bekommt eine Anzahl von ihnen einen Bordkoller; dann ist ihnen nichts, aber auch gar nichts mehr recht. Ein Cruisedirektor ohne Lederhaut wird nicht alt.
Ein Mann wie Hanno Holletitz, der Showmaster,
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