Promenadendeck
Bordgeschäfte geschlossen bleiben, vor allem aber der Juwelierladen. Seine Tür wurde sogar amtlich versiegelt und erst kurz vor dem Ablegen wieder freigegeben.
»Und Sie haben in der Nacht nichts bemerkt?«
»Gar nichts. Ich habe fest geschlafen.« Erika Treibel preßte beide Hände gegen ihre Schläfen. Ein Schluchzen erschütterte noch immer ihren Körper und verstärkte den Kopfschmerz. »Ich habe einen richtigen Kater. Bobby hat mir drei Cocktails gemixt, die habe ich nicht vertragen.«
Dabrowski sah sie wie elektrisiert an. »Wer war bei Ihnen?« rief er.
»Herr Pflugmair, das habe ich doch schon gesagt.«
»Sonst niemand?«
»Nein.«
»Pflugmair?« Teyendorf schüttelte den Kopf. »Blödsinn! Beißen Sie sich nicht an Pflugmair fest, Herr Dabrowski. Der stinkt vor Geld, ist ehrlich wie ein Gerippe. Für ihn könnte ich die Hand ins Feuer legen.«
»Wenn ich wüßte, wie Carducci durch diese Tür gekommen ist, ohne Nachschlüssel, ohne Aufstemmen, wäre mir wohler«, sagte Dabrowski resigniert.
»Vielleicht ist der Kerl ein solches Genie, daß er sich in Gas verwandeln kann, wie der Geist in Aladins Wunderlampe. Dann käme er durch jedes Schlüsselloch.«
»Gas!« Dabrowski starrte mit weiten Augen Teyendorf an. Seine Nasenflügel blähten sich. Der Spott Teyendorfs war wie ein Blitz in ihn hineingefahren. »Gas! Das ist es! Herr Kapitän … Sie sind ein Genie!«
»Ich verstehe kein Wort!« Teyendorf erwiderte Dabrowskis vor Freude glänzenden Blick. »Carducci ist doch kein Flaschengeist …«
»Nein, aber die Gasflasche hat er in der Hand!«
»Drehen Sie jetzt durch?«
Dabrowski lehnte sich an die leere Glastheke und streichelte Erika Treibel über die Haare. Draußen auf dem Gang hasteten die Passagiere vorbei zur großen Treppe. In ein paar Minuten wurde die Gangway freigegeben, der Zauber von Tahiti wollte erobert werden. Dabrowski sah keinen Anlaß mehr, den Blinden zu spielen. Ohne dunkle Brille und ohne Blindenstock wäre er jetzt eine kleine Sensation an Bord gewesen, aber die vorbeilaufenden Passagiere hatten keinen Blick dafür. So waren am Morgen auch viele an dem Juwelierladen vorbeigekommen und hatten die leeren Fenster gesehen, ohne anderes zu denken als: Es wird umdekoriert. Was sollte man auch sonst denken?
»Der Kater von Erika kommt nicht von den Cocktails, sondern von einem Gas, mit dem sie besprüht wurde«, sagte Dabrowski. »Ein Nervengas, das eine Zeitlang betäubt und lähmend wirkt.«
»Jetzt haben wir endlich einen amerikanischen Krimi zusammen.« Teyendorf schüttelte energisch den Kopf. »Das ist doch Kintopp, Herr Dabrowski!«
»Aber Wahrheit. Aus Amerika, da haben Sie recht, kommt das Gift. Es wurde zum erstenmal von italienischen Zugräubern groß eingesetzt. Auf den Strecken Mailand-Rom und Rom-Neapel hat man die Reisenden in den Zugabteils mit dem Spray betäubt und ausgeraubt. Ich glaube, Sie haben das alle in den Zeitungen gelesen.« Dabrowski holte tief Luft. »Und Carducci ist Italiener! Es gibt für unseren Fall nur eine Erklärung: Er ist nachts in Erikas Kabine gekommen, hat sie besprüht, ihr das Kettchen mit dem Schlüssel abgenommen, schließlich in aller Ruhe den Laden ausgeräumt, das Kettchen zurückgebracht und wieder um ihren Hals gehängt. Ein Spaziergang, der Millionen einbrachte.«
»Dann … dann hat er ja an meine Brust gegriffen …«, stammelte Erika Treibel.
»Ein Beweis, daß Carducci ein Kavalier ist.« Dabrowski grinste kurz. »Er hat ihre Lage nicht ausgenutzt, sondern sich nur den Schmuck genommen. Eine solche Haltung ist selten.«
»Jetzt singen Sie bloß noch ein Hosianna auf ihn, dann werde ich wild!« Teyendorf verließ wütend den Laden. Draußen wandte er sich wieder an Dabrowski: »Wenn sich Ihr Verdacht bestätigt, dann hat Herr de Angeli jetzt alle Klunker bei sich.«
»Das müßte er, Herr Kapitän.«
»Und wenn nicht?«
»Dann ist er auch nicht Paolo Carducci.«
»Ich habe selten eine so schwachsinnige Antwort gehört. In amerikanischen Filmen läuft so was anders.«
»Da wird geschossen und über die Dächer gerannt, da rasen Autos durch die Landschaft und ballern Maschinenpistolen. Können Sie sich vorstellen, Herr Kapitän, daß Carducci um Ihren Schornstein herumturnt? Na also! Die Wirklichkeit ist viel stiller und eleganter. – Ich werde erst einmal mit Herrn Pflugmair sprechen.«
Pflugmair saß im Restaurant vor einem Teller Spiegeleier mit Speck und frühstückte. Er sah auf, als Teyendorf und Dabrowski
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