Promenadendeck
der Barmixer im Fisherman's Club hatte noch gesagt: »Mädchen, da ist Pfiff drin!« –, und darauf führte sie jetzt ihr Unwohlsein zurück.
Schon nach zwei Schritten zu ihrem Juwelierladen hin blieb sie wie gelähmt stehen, riß den Mund auf, ohne daß ein Ton hervorkam. Dann aber löste sich das Entsetzen, sie rannte wie gehetzt an ihrem Geschäft vorbei, sah die leeren Schaufenster, warf sich herum und lief den Flur hinunter. Vor der Kabine hundertsechsunddreißig hämmerte sie mit beiden Fäusten gegen die Tür. Dabrowski öffnete, und Erika Treibel fiel ihm fast in die Arme. Erst hier fand sie ihre Sprache wieder; sie umklammerte den Detektiv und schrie: »Alles ist weg! Alles! Der ganze Laden ist leer …«
Dabrowski brauchte ein paar Sekunden, um Erika zu verstehen, und drückte die Weinende auf sein Bett. Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht und heulte erneut laut auf.
»Sehen Sie sich's an … nichts mehr im Fenster! Leer, alles leer …«
Dabrowski rannte aus seiner Kabine, sah schon von weitem die nackten Schaufenster, riß ein Taschentuch heraus, um die Klinke anzufassen, aber die Tür war verschlossen. Keine Anzeichen eines Aufstemmens, keine Beschädigungen, aber der Schmuck war verschwunden, und durch die Glastür sah er, daß auch die Schubladen offenstanden und leergeräumt waren.
Kapitän Teyendorf stand auf der Brückennock, als das Telefon neben ihm läutete. Unwillig hob er ab; die französischen Beamten waren an Bord gekommen und hatten sich verteilt: zu Hoteldirektor Riemke, in die Zahlmeisterei, zu Kempen, dem Ersten Offizier, der mit ihnen das Schiff einklarierte.
»Sie, Dabrowski?« sagte Teyendorf. »Ehe Sie fragen: Ja, es klappt. Die Beamten der Präfektur erwarten Herrn de Angeli. Sein Gepäck und er selbst werden durchsucht werden. Zufrieden? – Was ist los? … Der Juwelierladen? Heute nacht? … Jetzt können Sie nur noch den lieben Gott um Hilfe bitten!«
Kurz vor acht drängten sich die Landgänger wieder als massiver, rumorender Haufen vor dem Ausgang auf dem Pazifikdeck. Es gab Passagiere, die hatten schon um sechs Uhr gefrühstückt, um rechtzeitig die Tür erobern zu können, ihr so nahe wie möglich zu stehen. Man kann es auch eine Abart sportlichen Ehrgeizes nennen. Teyendorf, Dabrowski, Cruisedirektor Manni Flesch, die heulende Erika Treibel und Beate Schlichter standen vor der abgeschlossenen Schmuckboutique und sahen auf die leeren Schaufenster und die herausgezogenen Schubladen. Teyendorf rüttelte an der Glastür.
»Zu!«
»Das sagte ich doch.« Dabrowski wirkte plötzlich etwas zerknittert. »Abgeschlossen. Nirgendwo Gewaltanwendung.«
»Und trotzdem …«
»Sie sehen es ja, Herr Kapitän.«
»Grandios!« Teyendorfs Spott war ätzend. »Sie hatten recht: Ihr Carducci ist ein Genie. Das war eine Meisterarbeit.«
Dabrowski senkte den Kopf. »Erika, schließen Sie auf«, sagte er heiser.
Erika Treibel nahm den Schlüssel von dem Goldkettchen und schloß die Tür auf. Dabrowski und Teyendorf sahen mit Erstaunen das Schlüsselversteck.
»Tragen Sie den Schlüssel immer um den Hals?« fragte Dabrowski verblüfft.
»Ja. Tag und Nacht. Da kommt niemand ran.«
»Und es gibt keinen zweiten Schlüssel?«
»Doch. Im Tresor von Herrn Riemke.«
»Da brauchen wir gar nicht nachzusehen, der ist bombensicher.« Teyendorf betrat den Laden. Leere Schubladen, leere Fenster, eine leere Glasvitrine und leer die Ständer, an denen wertvolle Korallenketten gehangen hatten. »Er muß einen Nachschlüssel gehabt haben.«
»Unmöglich. Es ist ein Sicherheitsschloß, von dem man keinen Wachsabdruck machen kann. Das geht nur mit dem Originalschlüssel, und der ruht an Erikas Busen.« Dabrowski beugte sich zu den Schubkästen hinunter. »Aufgestemmt, klick … das macht Carducci in Sekundenschnelle. Hoffen wir nicht auf Fingerabdrücke; er trägt Glacehandschuhe.« Der Detektiv richtete sich auf und wandte sich an Erika Treibel, die weinend auf einem mit rotem Samt bezogenen Hocker saß: »Wo waren Sie heute nacht?«
»Zuerst mit Herrn Pflugmair im Fisherman's Club, dann im Bett.«
»Allein?«
Erika schluchzte laut auf. »Natürlich! Für was halten Sie mich denn?«
»Und dann?«
»Ich ging um halb acht zum Geschäft. Ich muß doch dabeisein, wenn der französische Zoll die Tür versiegelt.«
»Das ist jetzt nicht mehr nötig.« Teyendorfs Sarkasmus war tödlich. »Es gibt nichts mehr zu verkaufen.«
Es ist eine internationale Anweisung, daß in den Häfen die
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