Promenadendeck
zu geben. Pfannenstiel und die beiden Stewards hatten den Tobenden festhalten müssen, nun lag er apathisch im Bett, mit starrem Blick, die Pupillen vergrößert, auf keine äußeren Reize mehr reagierend. Dr. Paterna nahm Sylvia zur Seite und war sehr ernst.
»Ihr Mann hat den Verstand verloren«, sagte er offen. »Irgendein Schock muß den Zusammenbruch ausgelöst haben. Ich habe ihn ruhiggestellt. Wie es morgen sein wird, kann keiner voraussagen. Hatte Ihr Mann heute eine besonders große nervliche Belastung?«
»Nein. Ich wüßte nicht.« Sylvia blickte hinüber zu dem regungslosen de Jongh. »Im Gegenteil, er war heute sehr lustig. Er wollte mir sogar Ohrringe kaufen. Kann das nicht mit den Messerstichen zusammenhängen?«
»Nein!« Dr. Paterna erinnerte sich an den vorigen Abend. »Sie sind heute so anders«, hatte er zu de Jongh gesagt. Das war so gegen ein Uhr nachts. Eine Art innerer Starrheit war ihm aufgefallen; eine Leere, die aus seinem Blick sprach. Hatte da schon der Wahnsinn begonnen? Und was sollte der Schrei bedeuten: Er ist doch tot! – Wer war tot? Was war da in de Jongh zerrissen?
»Wollen Sie hier bei Ihrem Mann bleiben?« fragte Dr. Paterna.
»Nein, bitte nicht.« Ihre Stimme war klein und kindlich geworden. »Ich habe Angst.«
»Das kann ich Ihnen nachempfinden. Möchten Sie eine Schlaftablette mitnehmen?«
»Danke. Nein. Ich werde sowieso nicht schlafen können.«
Sie fuhr hinauf zum Oberdeck und schloß die Kabine auf.
Die Tischlampe brannte … Herbert Fehringer wartete schon auf sie.
15.
Pünktlich um sieben Uhr morgens schwamm die Atlantis langsam die Pier von Papeete an. Die Sonne hatte ihre Kraft schon entfaltet, in den Bergen verdunstete der Nachttau und schwebte als hauchfeiner Nebel in den Himmel, wo er sich in der Wärme auflöste. Am Kai warteten Busse und Taxis. Händler bauten ihre Stände auf: Muschelketten, Perlmuttkästen, bunt bedruckte Stoffe, Schnitzereien, Hemden und Hosen in allen Farben, Korallenschmuck, nachgemachte Speere, Kriegskeulen und Handtrommeln. Die wertvolleren Souvenirs gab es in den Ladenreihen der Straßen: Goldschmuck, Perlen und vor allem die berühmten, sündhaft teuren schwarzen Tahitiperlen . Ein Schwarz, das durch einen magischen grauen Glanz aufgehellt wurde. Kapitän Teyendorf dirigierte wie immer eigenhändig sein Schiff an die Pier. Zentimetergenau schob er die Atlantis breitseits an die Mauer. Es sah so einfach aus, wie er mit dem kleinen Hebel das Seitenruder betätigte und dann plötzlich die Maschinen schwiegen, als der riesige Schiffsleib die Fender berührte.
Vor zwei dunklen Wagen warteten schon Beauftragte vom Zoll auf das Einklarieren des Schiffes sowie einige weitere Herren, denen man von weitem die Beamten ansah. Die Funkverständigung hatte geklappt, François de Angeli wurde abgeholt.
Teyendorf atmete auf. Er stützte sich auf die Schanze der Brückennock und blickte über die bereits sehr lebendige Stadt. Er liebte Papeete – nicht, weil es zum Inbegriff von Südseezauber geworden war, zum vollkommenen ›savoir vivre‹, sondern wegen eines abgelegenen, einsamen Strandes; dort wußte er, daß er allein war und im warmen Ozean schwimmen konnte, ohne daß jemand rief: »Hierher kommen! Da ist ja unser Kapitän – ganz nackt!« In der Nähe besuchte er dann immer ein Fischlokal der Eingeborenen, die ihren frischen Fang an Holzspießchen über dem offenen Feuer brieten, wie vor Hunderten von Jahren.
Der Wachoffizier hatte gegen sechs Uhr früh seine Meldung abgegeben: An Bord keine besonderen Vorkommnisse. Die meisten Passagiere waren früh zu Bett gegangen, um für Tahiti fit zu sein. »Na endlich!« hatte Teyendorf nach dieser Meldung gesagt. »Mal eine Nacht, in der keiner durchdreht …«
Eine halbe Stunde später aber sollte er wissen, daß er auf seinen Ausflug zu der kleinen Badebucht verzichten mußte.
Es war gegen zwei Uhr morgens, als Paolo Carducci zu seinem größten Schlag ausholte. In einem dunkelblauen Schlafanzug und blauen Turnschuhen, die ihn unhörbar gehen ließen, über die Hände seine Glacehandschuhe gezogen, in der linken Hand einen kleinen, länglichen Gegenstand, der wie eine Minisprühdose aussah, schlüpfte er aus seiner Kabine, wartete sichernd wie ein scheues Tier im Türrahmen und machte dann zwei lange Schritte zur Seite. Genau zwei Schritte. Ohne Hast holte er einen Schlüssel aus der Schlafanzugtasche, schloß die Tür der Kabine 170 leise auf, verschwand in der Dunkelheit, blieb vor
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