Promenadendeck
zum amerikanischen Konsulat. Ja, auch um diese Zeit, Señorita! Und dann ein Fernschreiben an MS Atlantis auf See.«
Monsieur Claude Ambert hat Mord an Mrs. White gestanden. Wurde mit einem Kissen erstickt. Beute in Höhe von rund 63.000 Dollar ist sichergestellt. Weiterhin gute Fahrt. Kommissariat J, Polizei Acapulco.
Der Kommissar blickte auf den fast ohnmächtigen, über dem Schreibtisch liegenden Ambert. Sein Hintern war mit blutenden Striemen übersät. »Ich danke Ihnen, Señor«, sagte er freundlich. »Es war ein Vergnügen, Sie kennenzulernen. – Abführen!«
Am nächsten Morgen wurden Sissy und Berta in den Zoo von Acapulco geführt. Es half nichts, daß der Zoodirektor protestierte und lamentierte. Eine öffentliche, das heißt amtliche Einweisung – dagegen konnte man nichts machen. Nicht nur bei uns, auch in Mexiko ist der einzelne gegenüber den Behörden fast machtlos.
Der Fall Mrs. White konnte abgehakt werden, wie man so rohherzig sagt. Kapitän Teyendorf und Hoteldirektor Riemke gratulierten Dabrowski zu dem Erfolg. »Bleibt nur noch Ihr geheimnisvoller Juwelendieb Paolo Carducci«, sagte Teyendorf bei einem Glas Wein in seiner Wohnung. »Ob Sie bei dem auch so ein unverschämtes Glück haben? Einen zufälligen Augenzeugen? Wenn Ihr Juwelendieb in Valparaiso von Bord geht, können wir ihn vergessen.«
»Ein Carducci geht nicht von Bord, ohne vorher abzukassieren.« Dabrowski sah den Qualmringen einer dicken Havannazigarre nach. »Was er bisher erbeutet hat, ist für ihn gleich Null. Damit gibt er sich nie und nimmer zufrieden. Das große Ding kommt erst noch. Wir kennen das ja. Und wenn er bis Valparaiso nicht zum Zuge kommt, fährt er eben mit bis Sydney. Dann hat er noch mal etliche Tage Zeit, in aller Ruhe seine Schäfchen einzusammeln. Ich nehme an, in Valparaiso kommen die wirklich dicken Brocken an Bord.«
»Das stimmt. Eine solche Reise können sich nur die Erfolgreichen leisten. Das geht von 14.950 bis zu 37.500 Mark für eine Suite. Pro Person!« Riemke lutschte an seiner Zigarre. Er war ein Feuchtraucher und mochte deshalb keine Zigarren. Nur dem Kapitän zuliebe nuckelte er jetzt an so einem Glimmstengel herum. »Da sind 'ne Masse Millionäre an Bord mit ihren Glitzerfrauen! – Aber was heißt hier: Verlängern? Wenn Ihr Carducci die Reise nachträglich verlängert, fällt er doch auf. Zumindest gehört er dann einem kleinen Kreis an, den man überblicken kann.«
»Er kann auch schon von Beginn an bis Sydney gebucht haben.«
»Dann kann er nicht in Valparaiso raus – das fiele noch mehr auf. Außerdem braucht er ja auch Platz im Sonderflugzeug. Er müßte sich also rechtzeitig bei der Reiseleitung melden. Und dann hätten wir ihn!«
»Das stimmt.« Dabrowski sah Riemke dankbar an. »Ihre Schlußfolgerungen sind durchaus einleuchtend. Gehen wir also davon aus, daß Carducci bis Sydney unser Gast ist.«
»Also noch sechsundvierzig Tage!« Teyendorf hob sein Glas. »Ich habe das Ende einer Kreuzfahrt noch nie so sehnsüchtig erwartet wie diesmal.«
Der Abend im Sieben-Meere-Saal gehörte dem Conférencier Hanno Holletitz und der Schlagersängerin Evi Stern. ›Rhythmus aus Südamerika‹ hieß die Veranstaltung. Jeder, der den Saal betrat, bekam einen großen Sombrero aus gepreßter Pappe auf den Kopf gestülpt – natürlich auch die Damen, die sich ihre breitkrempigen Hüte sofort modisch zurechtbogen. Eine Bombenstimmung schien vorausprogrammiert.
Oliver Brandes, der schüchterne und ängstliche Optiker, hatte sich nun an das Schiff gewöhnt und an die Tatsache, daß es so schnell nicht versinken oder umkippen konnte. Die rauhe See zwischen San Francisco und Acapulco hatte er erstaunlich gut überstanden, allerdings mit Hilfe des evangelischen Bordgeistlichen Günter Wangenheim. Pastor Wangenheim, ein alter Fahrensmann, war in seiner Jugend, im 2. Weltkrieg, mit einem U-Boot zweimal abgesoffen und immer gerettet worden – dies gab den Ausschlag, daß er später Theologie studierte; er wollte Gott zeitlebens danken. Auf der Atlantis nahm er Brandes vollends die Angst, indem er ihm anhand von Zahlen bewies, daß eine Fahrt auf der Autobahn geradezu ein Selbstmordunternehmen war gegenüber einer Kreuzfahrt rund um die Welt. Wann war das letzte Passagierschiff untergegangen? Na … kaum eine Erinnerung. Aber jeden Tag und jede Nacht krachte es auf den Straßen und gab es Tote. Eine Schiffsreise mit einem Schiff wie der Atlantis ist die sicherste Sache der Welt.
Oliver Brandes
Weitere Kostenlose Bücher