Promijagd
Welt- und Europameisterschaften bis in den Endkampf gebracht und eine Silber- und zwei Bronzemedaillen für die DDR gewonnen. Nach der Wende war er als Trainer untergekommen. Zu Narsdorf war er gegangen, weil er hemmungslos gedopt hatte und die Angst nun seine Seele krank machte, die Angst, zu erkranken, wie die Angst, dass alles publik wurde und er seine Medaillen abzugeben hatte und seinen Job verlor.
Als Narsdorf ihn auf einem Nebenplatz des Friedrich-Ludwig-Sportparks erblickte, musste er an die schrecklichen Szenen auf dem Schulhof und in seiner Straße zurückdenken, wenn ein Junge, der viel größer und viel stärker als er war, auf ihn zukam, um ihn zu verprügeln. Wenn Bulkowski wirklich zuschlug, landete er garantiert im Krankenhaus, möglicherweise auch auf dem Friedhof. Doch er musste es wagen, denn Bulkowski war die einzige Waffe, die er hatte, um das Duell mit Völlenklee am Ende zu gewinnen.
Bulkowski war gerade dabei, seine Zöglinge mit Schnellkraftübungen zu traktieren.
»Kraft gleich Masse mal Beschleunigung!«, rief er. »Physik, zehnte Klasse. Die Masse habt ihr alle, das mit der Beschleunigung üben wir jetzt. Wer sich nicht quälen kann, kommt nie über 20 Meter. Hopp!«
Narsdorf staunte, dass es immer noch Menschen gab, deren große Leidenschaft das Kugelstoßen war. Die Leichtathletik war doch derzeit out, obwohl die nächste Weltmeisterschaft in Berlin stattfinden sollte, und selbst wenn einer Olympiasieger im Kugelstoßen wurde, bekam er nur den Bruchteil des Geldes, den ein mittelmäßiger Bankdrücker bei Hertha BSC verdiente, außerdem würden die Medien sich nicht um ihn reißen. Jedoch was kümmerte das den, für den das Kugelstoßen passion and obsession war.
Als Bulkowski ihn erkannte, gönnte er seinen Jungs eine kleine Pause und kam auf Narsdorf zu.
»Was denn, Herr Doktor, ein Hausbesuch?« Narsdorf versuchte zu scherzen. »Nein, bei einem Hausbesuch müsste ich ja eine Couch auf dem Rücken haben.«
»Wieso?«
»Ach, nur so. Weil der alte Freud seine Patienten immer …« Narsdorf brach ab. Was sollte er das alles ausführen. »Nein, ich …« Nun schaffte er es doch nicht, ohne Vorbereitungen zur Sache zu kommen.
»Sie hatten bei mir angerufen, Herr Bulkowski, und um einen Termin außer der Reihe gebeten, und da ich gerade hier in der Gegend zu tun hatte …«
»Ja, danke, dass Sie …« Bulkowski ging mit ihm in eine Ecke des Platzes, wo ihnen garantiert niemand zuhören konnte. »Da ist nämlich etwas passiert, das mich …« Bulkowski zögerte. »Ich werde erpresst.«
Narsdorf tat erstaunt. »Warum das?«
»Wegen meinem Doping damals.«
»Verstehe«, murmelte Narsdorf und tat nichts, um seine Spontaneität zu unterdrücken. »Sie werden lachen: ich auch.«
Nun war es an Bulkowski, verblüfft zu sein. »Was denn, Sie auch?«
»Ja, ich auch.«
»Und warum Sie?«
Narsdorf zögerte, Bulkowski die Wahrheit zu sagen. »Weil … Weil ich mit einer Patientin eine Beziehung angefangen habe.« Das stimmte zwar nicht, klang aber logisch. Doch hatte es einen Sinn, Bulkowski anzulügen? Nein, da der spätestens wenn er auf Völlenklee traf, sowieso erfahren würde, was Sache war. Darum korrigierte er sich schnell. »Nein, da ist jemand, der mich erpresst, weil er Zugriff auf meine Festplatte hatte und …«
Bulkowski starrte Narsdorf an. »Dann habe ich Ihnen das alles zu verdanken!«
Narsdorf wich einen Schritt zurück. »Machen Sie nicht alles noch schlimmer, als es ist. Ich kann nichts dafür! Wir sitzen im selben Boot! Wenn Sie mich jetzt niederschlagen, können wir beide einpacken.« Bulkowski ließ die Fäuste wieder sinken. »Ist es wirklich derselbe?«
»Ja, hundertprozentig. Wer ist es bei Ihnen?«
»Keine Ahnung. Ich hab ja bisher nur einen Anruf bekommen, und da hat mir jemand gesagt, dass ich morgen zum Bahnhof Schönhauser Allee kommen und 1.000 Euro mitbringen soll. Sonst wird er die Presse und die Antidoping-Agentur informieren. Er hat auch mein Geständnis, sagt er.«
»Er hat das, was Sie mir erzählt haben«, sagte Narsdorf und war wieder auf der Hut.
Doch Bulkowski konnte sich beherrschen. »Und was nun?«
»Zur Polizei gehen können wir ja nicht, aber ich habe zwei Privatdetektive engagiert.« Damit meinte er Mannhardt und dessen Enkel. »Der Mann heißt Leon Völlenklee und ist ein … sagen wir: verkommenes Genie, einer der besten Hacker in Europa. Sonst hätte er nicht meine Firewalls überwinden können. Das Schlimme ist, dass er nichts zu
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