Promijagd
Parasit des anderen war, und wie ihre Mutter sie ausgesaugt hatte, man konnte auch sagen, für ihre Zwecke instrumentalisiert hatte, auf diese Weise wollte sie jetzt Mägdesprung aussaugen. Es war im Kosmos eben so, dass immer andere und anderes verbraucht wurde, wollte man in der Zeit existieren, vulgo: über die Runden kommen, und deshalb brauchte sie sich auch nicht schuldig zu fühlen.
Derart eingestimmt machte sie sich auf den Weg in die Villenkolonie am östlichen Rande des Grunewalds. In der Wernerstraße hatte Dr. Mägdesprung seine Privatklinik. Eine wahrhaft noble Adresse. Um nicht gleich abgewiesen zu werden, hatte sie sich von Narsdorfs Geld in einer angesagten Boutique ein neues Kleid und neue Schuhe gekauft, auch fuhr sie nur bis Halensee mit der S-Bahn und nahm sich bis zur Klinik eine Taxe. Über die Lassenstraße kam sie zu dem kleinen Platz, auf dem die Grunewaldkirche stand, dann bog sie in die dort abgehende Wernerstraße. Während sie nach Mägdesprungs Hausnummer suchte, kam ihr das Ganze so surrealistisch vor, dass sie es richtiggehend genoss. Einmal aus der Zeit fallen, etwas Wahnwitziges tun, sich in einem anderen Leben bewegen. Sie fragte sich, wie sie so etwas auf der Leinwand darstellen musste, damit es in den Betrachtern dieselben Gefühle auslöste.
Die Taxe hielt, sie bezahlte den Fahrer und stieg aus, jetzt ganz Dame von Welt. Wer eine Schauspielerin als Mutter hatte, der konnte das. Entsprechend ehrerbietig begegnete ihr die Sprechstundenhilfe hinter dem Empfangstresen. Erst in diesem Moment fiel Corinna ein, dass sie gar nicht wusste, weswegen sie offiziell hier war. Sie überflog einen der ausliegenden Flyer: Schönheitsoperationen – Modern Beauty. Brustoperationen … Das alles kam für sie nicht infrage, ihre Brüste waren eher zu klein. Fettabsaugung … Nein, sie war zwar von kräftiger Statur, aber das waren alles Muskeln. Lidplastik … Gott, bloß nicht etwas in der Nähe des Auges. Bauchdeckenstraffung … Sie hätte eine Bauchdeckenlockerung gebraucht. Nasenplasti … Das war es, ihre Nase ging schon in Richtung dessen, was bei den älteren Berlinern ein Zinken war. So bat sie denn auch, bei Dr. Mägdesprung wegen der Korrektur ihrer Nase angemeldet zu werden. Gründe, ihren richtigen Namen und ihre Adresse zu verschweigen, gab es nicht. Völlenklees Strategie war es ja, ihren Opfern gegenüber mit offenen Karten zu spielen.
»Nehmen Sie bitte Platz, Frau Natschinski, es kann höchstens zehn Minuten dauern.«
Zehn Minuten Lampenfieber, das war zu ertragen. Sie blätterte in den ausliegenden Magazinen und fand einen Artikel über Rengha Rodewill, überschrieben mit ›Dance-Painting – Entindividualisierende Grenzüberschreitung und gesteuerte Bewegung‹. Das klang interessant, sie hätte es gern gelesen, doch Dr. Mägdesprung stand schon in der Tür, um sie in die Ordination zu bitten. Sie fuhr hoch. Der Arzt war ein solches Prachtexemplar von Mann, dass er es mühelos mit allen Leinwandhelden von Willy Fritsch bis Richard Gere aufnehmen konnte. Klar, dass die Frauen dem die Bude einrannten, nicht ahnend, dass sie sich damit in Lebensgefahr begaben. Oder vielleicht war es gerade das, was Mägdesprung für Corinna so unwiderstehlich machte. Sie hatte noch nie so weiche Knie gehabt wie in diesem Augenblick und selten so einen Stuss geredet.
»Was führt Sie zu mir?«, fragte Dr. Mägdesprung, nachdem sie Platz genommen hatten, er hinter und sie vor seinem Schreibtisch.
»Meine Mutter war Schauspielerin und ist jetzt in der KBoN, weil … Na, das hat nichts mit ihrem
Gesicht zu tun, aber mein Vater war Alkoholiker … Also, ich will damit sagen … Ich hatte ein schweres Schicksal. Ich bin Malerin von Beruf und da … Aber auch Bildhauerin, wo man – auch als Frau, also: wo frau – manchmal schwer heben muss.«
Dr. Mägdesprung lächelte. »Da möchten Sie, dass Ihr Gesicht etwas weicher und femininer wird?« Endlich hatte Corinna etwas Boden unter den Füßen. »Ja, meine Nase.«
Der Schönheitschirurg stand auf und kam um den Tisch herum. »Darf ich mal …«
Corinna tat nun das, was in ihrem Drehbuch vorgesehen war: Als Mägdesprung seine Arme nach ihr ausstreckte, schrie sie voller Entsetzen: »Nein, das sind ja die Hände eines Mörders!«
9
›M.s Hass auf Frauen hat seine Wurzeln in der Rolle des Don Juan, Casanova und Macho, in die er nach der Pubertät hineingewachsen ist. Bei aller Freude und allem Lustgewinn, die damit verbunden waren, ist ihm
Weitere Kostenlose Bücher