Promijagd
»Meine Riester-Rente, ja.«
»Ich brauche das Geld für meine Galerie.« Um groß herauszukommen, wollte sie sich Räume anmieten, um ihre Bilder auszustellen. Für die Vernissage sollte groß getrommelt werden. Mit Flyern, Anzeigen und Journalisten, die sich für ein wenig Geld einen abjubelten. All das kostete.
»Das Geld kannst du haben«, sagte Völlenklee.
»Das Geld ist mir scheißegal. Ich will, dass die Schweine alle leiden, Narsdorf an der Spitze, ich will sie kriechen sehen. Krieg allen Arschlöchern!«
Damit verschwand er im Bad. Beim Frühstück erörterten sie ihre nächsten Schritte.
Völlenklee fluchte. »Scheiße, dass dieser Jöllenbeck schon tot war, bevor wir ihn ausnehmen konnten.«
Auch Corinna schimpfte. Über den Schimmel auf der Marmelade. Dann sagte sie, dass man noch genügend Kandidaten auf der Liste habe. »Wie wär’s denn mit diesem Schönheitschirurgen?«
Völlenklee blätterte in seinen Ausdrucken. »Diesem Mägdesprung, ja … Leidet unter der zwanghaften Vorstellung, seinen Patientinnen bei der Operation mit dem Skalpell die Kehle durchschneiden zu müssen.«
Corinna stieß einen kindlichen Laut des Ekels und Entsetzens aus und verschluckte sich an ihrem Orangensaft. »Da gehst du hin!«
»Nein, du!«, rief Völlenklee. »Ich hab Narsdorf auf mich genommen.«
»Es war deine Idee.«
»Aber du willst das Geld haben, nicht ich.«
*
Bei Christie’s war ›No. 15‹ von Mark Rothko für 45 Millionen Dollar weggegangen, und Lucian Freuds Gemälde ›Benefits Supervisor Sleeping‹ mit einem phänomenal fetten Arbeitsamtsangestellten auf dem Sofa war für mehr als 30 Millionen Dollar versteigert worden. Bei Sotheby’s hatte Takashi Murakamis ›My Lonesome Cowboy‹ 13,5 Millionen Dollar gebracht und Tom Wesselmanns ›Smoker #9‹ immerhin noch 6,8 Millionen Dollar.
Das alles las Corinna Natschinski im Kunstmarkt der Süddeutschen Zeitung, die jemand in einem der Höfe an der Hasenheide vergessen hatte. Das waren Summen, die ungeheuerlich für sie waren, aber sie lebte ja in den Zeiten, in denen die Werbung den Menschen ununterbrochen signalisierte: Nichts ist unmöglich! Und warum sollte sie keine zweite Frida Kahlo werden? Nicht nur, dass sie ihr irgendwie ähnlich sah, sie benutzte auch dieselbe symbolhafte, oft surreale Bildsprache der Mexikanerin.
In der Zeitung war auch die Rede von den Strategien internationaler Topgalerien, die von Messe zu Messe zogen, um ihre Künstler anzupreisen, und dabei Standmieten zwischen 150 und 500 Euro pro Quadratmeter zahlten. Das musste Corinnas Strategie sein, so auf sich aufmerksam machen, dass eine dieser Galerien Interesse für sie zeigte, vielleicht ›neugerriemschneider‹ in Berlin. Und dazu brauchte sie einen Anfangserfolg, eine selbst inszenierte und selbst bezahlte Show mit ihren Bildern.
Ihr großes Thema war die schwarz-weiße Welt der Borderline-Persönlichkeiten. Ich hasse dich – verlass mich nicht! Wie konnte man das auf die Leinwand bringen? Es sollte ein ganzer Zyklus werden. Im Augenblick arbeitete sie an ›ganz und gar‹, wo es darum ging, dass eine Borderline-Persönlichkeit manchmal wie ein Parasit funktionierte, das heißt, den Menschen, an den sie sich klammerte, schließlich zerstörte. Es war das Thema ihres Lebens. Ihre Mutter, eine nicht ganz unbekannte Schauspielerin, hatte ihren Mann, Corinnas Vater, erst zum Alkoholiker gemacht und ihm anschließend die Schuld an ihrem Gefühl, wertlos zu sein, zugeschoben. Er hatte sich schließlich in den Freitod geflüchtet. Danach war die Tochter an der Reihe gewesen. Von Corinna hatte sie verlangt, Kindermädchen, Beichtvater, Managerin und beste Freundin in einem zu sein und völlig auf ein eigenes Leben zu verzichten. Corinna hatte das nicht mehr ausgehalten und war zu Völlenklee geflüchtet, ihre Mutter war in die Nervenklinik gebracht worden. Immer wieder warf sie sich vor, gleichsam die Mörderin ihrer Mutter zu sein. Sie malte auch, um mit diesen Schuldgefühlen fertig zu werden.
Wenn Corinna nun daran dachte, Martin Mägdesprung, den Schönheitschirurgen, zu erpressen, dann verfügte sie durchaus über so viel Empathie, mit ihm zu leiden, aber es überwog das Gefühl der Genugtuung darüber, dass es einen weiteren Menschen gab, der leiden musste. Derart leiden musste wie sie. Dass sie nicht die Einzige war, tröstete sie. Wenn sie ihm Schmerzen zufügte, dann hatte sie einen Bruder im Schmerz gefunden. Sie sah das Leben so, dass jeder der
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