Promijagd
vorstellen, ohne sich zu bekämpfen und zu zerfleischen, der Friedensschluss galt als Selbstaufgabe. ›Ich hasse dich, also bin ich.‹ Nur das Streben, dich zu vernichten, gab meinem Leben Sinn.
»Zoologischer Garten!« Narsdorf brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass damit Zoo gemeint war und er aussteigen musste. Er nahm den vorderen Ausgang, weil dort längst nicht so ein Gedränge war wie hinten, wo es zur U2 und zur S- und Regionalbahn ging, und kam an der Rückseite des Elefantenhauses ans Tageslicht. Viele Menschen huschten an ihm vorbei, und schmerzhaft wurde ihm bewusst, dass er keinen von ihnen persönlich kannte. Das verstärkte sein Gefühl, verloren zu sein. Niemand half ihm, gegen seinen Erpresser vorzugehen. Im Gegenteil, stand morgen in der Zeitung, dass er wegen dieser Erpressung seine Praxis schließen musste, freuten sich alle über diese schöne Story.
Obwohl er unzählige Male am Hardenbergplatz gewesen war, kam ihm die Gegend fremd vor, und für einen Augenblick zweifelte er daran, überhaupt in Berlin zu sein. Dann wieder glaubte er, im Traum nach der Gedächtniskirche zu suchen. Bei vielen seiner Patienten hatte es so begonnen, bevor sie zu ihm gekommen waren. Ein leichter Schwindel packte ihn, als er links abbog und den Breitscheidplatz vor sich hatte. Er überquerte die Budapester Straße an der nächsten Ampel und suchte auf den Bänken vor der Kirche nach Völlenklee. Seine Aufregung erinnerte ihn an ein Rendezvous. Sowie er an den Kinos im Zoo-Palast vorbeigekommen war und die Filmplakate gesehen hatte, dachte er: Rendezvous mit einem Parasiten. Völlenklee hatte nur 5.000 Euro gefordert, deshalb war anzunehmen, dass er sich eine Art Rente versprach, jeden Monat etwas.
Erst in diesem Moment fiel Narsdorf ein, dass er Mannhardt angerufen und ihn gebeten hatte, auch zur Gedächtniskirche zu kommen. Er brauchte einen Zeugen, aber auch jemanden, der ihm zu Hilfe eilen konnte, wenn es, bei wem auch immer, zu einem Gewaltausbruch kommen würde. Und richtig, der Kriminalbeamte a. D. stand an einem Aushang vor dem Kirchenneubau und studierte die kommenden Veranstaltungen der Kirchengemeinde. Narsdorf wurde um einiges ruhiger.
Völlenklee kam ihm vom Brunnen her entgegen. Wie in einem Western schritten sie aufeinander zu, und Narsdorf stellte sich vor, wie er schneller zog und den anderen erledigte. Die Mindestdistanz einhaltend, auf Armlänge also, blieben sie voreinander stehen. Narsdorf glaubte, dumpfe Trommelschläge zu hören.
»Hallo«, sagte Völlenklee.
»Hallo«, wiederholte Narsdorf und war erschrocken, wie Völlenklee aussah. Aufgedunsen und von mehliger Farbe war sein Gesicht. »Du bist es also wirklich.«
»Ich habe alle Trümpfe in der Hand«, sagte Völlenklee. »Jede Karte ein Ass. Wobei meine Karten das sind, was ich mir bei dir runtergeladen und ausgedruckt habe. Hier das, was Jöllenbeck zu Protokoll gegeben hat.«
»Danke.« Narsdorf nahm den Bogen, den Völlenklee ihm hinhielt.
»Und wo ist das Geld?«
»Hier.« Narsdorf griff in die Innentasche seines Jacketts und holte den Umschlag heraus, der angefüllt war mit Einhundert- und Zweihunderteuronoten.
»Danke.« Völlenklee ließ den Umschlag in seiner dunkelblauen Sommerjacke verschwinden, ohne nachgezählt zu haben.
»Und, wie soll es weitergehen?«, fragte Narsdorf.
»Lange. Ich werde deine Kreise nicht stören, lieber Hagen, denn niemand schlachtet das Huhn, das ihm goldene Eier legt. Keine Angst also.« Damit zog er ab in Richtung Wittenbergplatz.
Narsdorf stand da und fühlte sich wie nach einem Überfall. Nicht einmal anzeigen konnte er den Täter. Langsam folgte er Leon Völlenklee. Vielleicht ergab sich ja eine Chance, alles aufzuhalten. Vor dem KaDeWe blieb Völlenklee stehen, um ganz offensichtlich auf jemanden zu warten. Er musste nicht lange rätseln, auf wen, da aus dem Grenander’schen U-Bahntempel auf der Mitte des Platzes eine junge und durchaus attraktive Frau kam. Völlenklee begrüßte sie nicht nur winkend, sondern rief ihr auch, als die Ampel, die sie noch trennte, lange Zeit auf Rot stand, etwas zu, das Narsdorf deutlich verstand: »Hallo, Corinna, hat alles geklappt!« Dabei zeigte Völlenklee mit einer so schnellen Bewegung zu ihm hinüber, dass er sich nicht schnell genug wegdrehen konnte und Corinna nun wusste, wer sich hinter dem Namen Narsdorf verbarg.
*
Maik Bulkowski war Kugelstoßer und naturgemäß ein Hüne. Vor fast drei Jahrzehnten hatte er es bei den
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