Promijagd
Prozess in den Sand gesetzt hat.«
»Es hat auf dem U-Bahnhof Bayerischer Platz eine Rangelei zwischen diesem jungen Menschen und Jöllenbeck gegeben«, sagte Schneeganß. »Ob Jöllenbeck vor den Zug gestoßen wurde oder selbst gesprungen ist, lässt sich leider nicht einwandfrei klären. Darum sind wir ja auch hier. Hat es von Seiten Jöllenbecks manchmal Andeutungen im Hinblick auf einen Suizid gegeben?«
Schwenz zögerte einen Augenblick. »Ja, das schon …«
»Und warum?«
»Ach, wissen Sie …« Schwenz zog so sehr am Knoten seiner Krawatte, dass er sich ein wenig würgte.
»Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass man ihn erpresst hat.«
»Wegen der Beziehungen zu Jungen aus der Szene?«
Schwenz nickte. »Ja, sicher.«
»Und was diesen Zigarettenhändler da betrifft?«, wollte Grätz wissen.
»Den Vietnamesen? Ach, vergessen Sie das.« Schwenz tat es leid, das überhaupt erwähnt zu haben.
»Klar, fast hätte ich es vergessen: seit einiger Zeit war Bernhard auch bei einem Psychiater in Behandlung, wegen all seiner Nöte …«
»Den Namen wissen Sie nicht zufällig?«, fragte Schneeganß.
»Doch.« Schwenz musste unwillkürlich schmunzeln. »Weil ich da immer gespottet habe: Die Narren zu Narsdorf. Dr. Narsdorf mit einer Praxis irgendwo in der Schloßstraße.«
»Danke, ja.« Grätz notierte sich den Namen. Schneeganß fiel nichts mehr ein, was er den Ingenieur noch hätte fragen können. »Dann werden wir mal wieder …«
»Moment mal!« Beim erneuten Betrachten des Fotos war Schwenz noch etwas eingefallen. »Der Junge hier am Bahnhof, das könnte Ritchie sein.«
»Welcher Ritchie?«, fragte Schneeganß.
»Der Richard, Richard Immelborn. Ein Junge aus gutem Hause, der … Das war für Bernhard eine ernste Sache, und für Ritchie auch. Aber auf einmal hat Bernhard ihn fallenlassen, warum auch immer, und für Ritchie ist eine Welt zusammengebrochen.«
»Und wo finden wir diesen Ritchie?«, fragte Grätz.
»Irgendwo im Heuhaufen Berlin«, antwortete Schwenz.
Schneeganß stand auf und wandte sich Richtung Tür. »Wir danken Ihnen, Herr Schwenz. Und wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte: Hier ist mein Kärtchen.«
*
Da die Stadtautobahn erst zwischen Innsbrucker Platz und Funkturm so richtig verstopft war, hatten sie eine halbe Stunde später ihr nächstes Ziel erreicht. Als sie bei Dr. Narsdorf in der Anmeldung vor dem Tresen standen, wurden sie von der Sprechstundenhilfe für zwei Pharmavertreter gehalten.
»Welche Firma?«, fragte sie so unfreundlich wie eben möglich, weil ihr Chef von Menschen dieser Art möglichst verschont bleiben wollte.
»Die UnAb AG«, antwortete Schneeganß.
»Bitte? Nie gehört. Hat das was mit der Uno zu tun?«
»Nein, UnAb steht für Unnatürliches Ableben«, erklärte ihr Schneeganß. »Wir haben das immer aufzuklären, wenn es geschieht. Früher waren wir die Mordkommission, aber jetzt, wo alles privatisiert ist …«
»Möchten Sie Herrn Dr. Narsdorf sprechen?«
»Ja, gerne.«
Sowie Schneeganß Dr. Narsdorf sah, konnte er sich nur mühsam das Grinsen verkneifen. Der Mann erinnerte ihn an einen Regenwurm, und später sollte er von ihm auch nur als Mr. Earthworm sprechen.
»Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte Narsdorf, nachdem sie sich vorgestellt hatten. »Habe ich richtig gehört: Die Mordkommission?«
Narsdorf erfasste den Kommissar mit seinen blassblauen Augen, was Schneeganß unwillkürlich an eine Szene im Supermarkt erinnerte: Wie die Verkäuferin neulich seinen nagelneuen Hunderteuroschein unter die Lampe mit dem ultravioletten Licht gelegt hatte, um zu sehen, ob er echt war. »Ja, es geht um den Fall Jöllenbeck. Der soll einer Ihrer Patienten gewesen sein.«
»Jöllenbeck?« Narsdorf tat so, als hätte er den Namen noch nie gehört.
»Fällt das schon unter die ärztliche Schweigepflicht?«, fragte Grätz.
»Was?«
»Ob Sie uns sagen können, wer Patient bei Ihnen ist?«
Narsdorf wich ihm aus. »Bei uns ist das anders als beim Zahnarzt. Hat jemand Karies und braucht er eine Brücke oder eine Krone, so ist das kein Problem, er prahlt wahrscheinlich damit, wie tapfer er beim Zahnziehen gewesen ist, aber wer zum Psychologen oder zum Psychiater muss, der kann mit übler Nachrede rechnen.«
Grätz führte das noch weiter aus. »Ja, der hat ’ne Macke, der jehört inne Klapsmühle, der kommt wohl gerade von Bonnies Ranch.«
Dr. Narsdorf nickte. »Richtig! Und darum zögere ich ganz automatisch.«
»Da zögern Sie falsch«,
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