Promijagd
erstbeste Schwester, die ihnen über den Weg lief, ob sie zu ihrer Zielperson ins Zimmer gehen könnten.
»Sind Sie die Eltern?«
Schneeganß nickte. »Ja, ich bin die Mutter, das hier ist der Vater. Nach Corinnas Geburt habe ich mich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen, und Eugen hat das akzeptiert.«
Grätz blieb ganz ernst. »Ja, und da ich schon immer schwul war, ist mir das sehr gelegen gekommen.«
»Be Berlin«, fügte Schneeganß hinzu.
»Kommen Sie bitte mit.«
»Ist meine Tochter schwer verletzt?«, fragte Schneeganß so besorgt wie möglich.
»Nur das rechte Handgelenk und eine Rippe ist gebrochen. Dazu kommen Kopfverletzungen und der Schock. Unsere Psychologin hat bereits mit ihr gesprochen.«
»War es ein Sturz oder ist sie vor den Zug gestoßen worden?«, fragte Grätz.
»Sie hat von einem Selbstmordversuch gesprochen.«
»Dann danken wir Ihnen«, sagte Grätz.
Die Schwester öffnete die Tür, um sie eintreten zu lassen. Schneeganß blieb stehen, als er sah, dass noch drei andere Frauen im Zimmer lagen. »Ach, noch etwas … Wir hätten Frau Natschinski gern allein gesprochen.«
Die Schwester stutzte und wurde misstrauisch.
»Sie sind doch nicht die Eltern?«
»Nein. Entschuldigung, wir sind von der Kriminalpolizei.« Schneeganß zeigte seine Marke vor. »Wir ermitteln gegen Frau Natschinski wegen … Egal, wir möchten sie jedenfalls allein sprechen.«
»Dann müssen wir ihr Bett in ein leeres Zimmer schieben – aber wir haben keines.«
»Stirbt nicht mal einer?«, fragte Grätz.
»Ja, schon, aber …« Die Schwester hatte immer noch keine rechte Einstellung zu den beiden Beamten gefunden. »Das ist sehr pietätlos. Ich muss erst mal den Oberarzt fragen.«
»Ob einer sterben darf?«, fragte Schneeganß.
»Ob ich Frau Natschinski in ein leeres Zimmer bringen kann.«
Schneeganß fand die Kleine immer süßer und überlegte, mit welchem Leiden er sich ins Urban einliefern lassen konnte, um von ihr verwöhnt zu werden. Sie verschwand und klärte die Sache.
Corinna Natschinski wurde in den Fernsehraum gerollt, wo sie ungestört mit ihr sprechen konnten. Sie sah derart nach Unfallopfer aus, wie man es aus dem Fernsehen kannte, und Schneeganß verspürte fast so etwas wie Langeweile. Auch wusste er nicht wirklich, als was er sie behandeln sollte: Als eine Erpresserin, die möglicherweise Jöllenbeck in den Tod getrieben hatte, oder als eine junge Frau, die gescheitert war und ihr großes Abenteuer fast mit dem Leben bezahlt hätte – wie ihr Freund und Lebensgefährte.
Schneeganß stellte sich vor, danach holte er sich einen Stuhl heran und setzte sich ans Bett. Grätz tat es ihm gleich.
»Sie kennen sich ja aus mit Psychologen, Frau Natschinski«, eröffnete Schneeganß die Partie. »Und wie fangen Therapeuten in der ersten Sitzung immer an? Sie fangen immer an mit den Worten: Erzählen Sie mal … Ja, Frau Natschinski, dann tun Sie das mal bitte.«
»Ich bin Malerin und Bildhauerin«, begann Corinna Natschinski recht kläglich. »Und da hatte Leon die Idee … Also, wo soll ich anfangen …?« Sie schloss die Augen.
»Fangen Sie ruhig bei Leon Völlenklee an. Sie haben zusammengelebt?«
»Ja, in der Dieffenbachstraße, hier gleich nebenan. Leon war bei der CompWorld angestellt, oben in Reinickendorf, hat sich aber immer unterfordert gefühlt. Wie schon in der Schule. Er war ja auch ein genialer Hacker.« Corinna Natschinski suchte nach einem roten Faden. »Ja, und in der Schule, da hat er einen ganz besonders gehasst: den Hagen Narsdorf, der nachher Psychiater geworden ist. Sie hatten sich aus den Augen verloren, dann ist aber ein Klassenkamerad von ihnen ermordet worden, der Henning Hanke, der Schriftsteller, und so sind sie dann bei der Beerdigung wieder aufeinander getroffen. Leon hat sich als Loser gefühlt, und Narsdorf, Dr. Narsdorf, war der erfolgreiche Arzt mit einer großen Praxis und prominenten Patienten. Ja, weiter ist nicht viel zu erzählen, und das wissen Sie ja auch alles: Dass Leon auf die Festplatte von Narsdorf vorgedrungen ist und wir einige seiner Patienten erpresst haben.«
»Wen denn zum Beispiel?«, fragte Grätz.
»Na …« Corinna Natschinski nahm die Finger zur Hilfe. »Erstens mal Narsdorf selbst. Zweitens den Bulkowski, den Kugelstoßer. Drittens den Dr. Mägdesprung, den Schönheitschirurgen. Viertens den Fröttstädt, einen Piloten. Und fünftens diese Millie Malorny, diese Sängerin.«
»Und warum waren die erpressbar?«, wollte Schneeganß
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