Promijagd
angeschwemmt. Der am Strand von Campbell River angespülte rechte Fuß steckte in einem schwarzen Sportschuh für Männer.«
»Der kann nur von einem Fußballer stammen, der mit seiner Mannschaft schon in der Vorrunde ausgeschieden ist«, stellte Grätz fest. »Wahrscheinlich von einem Österreicher, den sie gelyncht haben, weil es kein zweites Cordoba gegeben hat.«
Damit waren sie wieder beim allumfassenden Thema angekommen und diskutierten lange und ausführlich den 3:2-Sieg der Deutschen über Portugal.
»Das 3:2 ist unser Schicksalsergebnis«, stellte Grätz fest. »Siehe das Wunder von Bern.«
»Zwei Gegentore sind aber schlecht«, hielt Schneeganß dagegen. »Am wichtigsten ist doch die Null, die hinten steht.«
»Bei uns in Berlin stehen die Nullen doch alle vorne«, sagte Grätz.
»Du kannst ja zusehen, ob du es schaffst, Ernst Reuter und Willy Brandt wiederauferstehen zu lassen. Besonders mit Ernst Reuter wäre das eine schöne Sache, der war ja auch so ein halber Türke und könnte viel zur Integration von Küçükoglu, Yilmaz und Co. beitragen.«
»Wenn es zum Endspiel Türkei gegen Russland kommen sollte, erschieße ich mich«, erklärte Grätz.
»Dann brauchst du wenigstens nicht mehr auszuwandern«, sagte Schneeganß.
So ging es noch eine Weile hin und her, bis es Zeit geworden war, zur Morgenandacht in den Sitzungsraum zu eilen. Dort hatte ihnen ihr Chef einiges mitzuteilen.
»Zum Fall Jöllenbeck … Einer der Tatverdächtigen ist ja dieser Richard Immelborn, genannt Ritchie. Auf den ist am vergangenen Abend zwischen 21.30 Uhr und 22 Uhr möglicherweise ein Attentat verübt worden, jedenfalls ist der Bauwagen in der Urbanstraße, in dem er zuletzt gelebt hat, angezündet worden. Ums Leben gekommen ist aber nicht Ritchie, der vorher ins Urban-Krankenhaus eingeliefert worden war, sondern ein Freund von ihm, ein EDV-Spezialist. Der Name … Leon Völlenklee. Die Identität hat sich schnell anhand seiner Papiere feststellen lassen. Wir haben es hier nicht mit einer total verkohlten Leiche zu tun, sondern der Mann ist an Rauchgasen erstickt und nur leicht angesengt, wenn ich das einmal so sagen darf, von den Feuerwehrleuten aus dem Bauwagen gezogen worden, den Passanten vorher weitgehend gelöscht hatten. Nun wird es interessant, denn gegen diesen Völlenklee und seine Lebensgefährtin, eine Corinna Natschinski, ist gerade Anzeige erstattet worden … und zwar von einer Popsängerin namens Millie Malorny alias Nicole Leckscheidt. Der Völlenklee und die Natschinski sollen sie erpresst haben. Es muss ihnen gelungen sein, auf die Festplatte eines Psychiaters vorzudringen, eines Dr. Hagen Narsdorf, und mit der ausgedruckten Krankengeschichte sind sie dann bei der Leckscheidt erschienen und haben Geld verlangt. Ich vermute mal, dass sie nicht die Einzige gewesen ist, bei der sie es versucht haben, sodass mehrere Leute einen Grund gehabt haben könnten, Völlenklee aus der Welt zu schaffen. Wir sollten also …« Er brach ab, da ein Mitarbeiter hereingekommen war und ihm einen Notizzettel auf den Tisch legte. Schnell hatte er ihn überflogen. »Gerade erfahre ich, dass diese Corinna Natschinski auf dem U-Bahnhof Südstern vor einen einfahrenden Zug gesprungen ist beziehungsweise gestoßen worden ist … Man hat sie ins Urban-Krankenhaus gebracht … Über ihren Zustand wissen wir noch nichts. Hm … Die Parallelen zum Fall Jöllenbeck liegen auf der Hand, weshalb ich glaube, dass es das Beste ist, wenn Gunnar Schneeganß und Eugen Grätz da am Ball bleiben.«
*
Das Städtische Krankenhaus Am Urban, eröffnet 1890, war im Pavillonstil errichtet worden, im Zeitraum 1966–1970 hatte man die lieblichen und überschaubaren Gebäude aus gelbem Backstein aber mit einem V-förmigen Hochhaus ergänzt, somit war vom Charme des Alten nicht viel geblieben. Der Eingang befand sich jetzt in der Nähe des Landwehrkanals.
»Ich liebe Krankenhäuser«, sagte Schneeganß, als sie das Foyer betraten und auf die Auskunft zusteuerten.
Grätz verzog das Gesicht. »Das ist ja pervers. Krankenhäuser heißen so, weil man da erst richtig krank wird, das heißt, sich die Bakterien einfängt, die einen umbringen.«
»Ich bin natürlich nicht gern als Patient hier, sondern als Besucher. Es ist ein herrliches Gefühl, dass man gesund und munter nach Hause gehen kann, während andere hier leiden und sterben.«
Corinna Natschinski lag auf der Chirurgischen Station. Sie fuhren mit dem Aufzug nach oben und fragten die
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