Prophezeiung
neben ihr vor dem Küchentresen stehen und sah zu, wie sie einen Becher aus dem offenen Regal nahm und ihm einen Kaffee einschenkte.
»Fairtrade?«, sagte er.
»Logisch«, sagte sie und reichte ihm die Tasse. »Du überraschst mich, kleiner Bruder. Echt.«
»Weil?« Er trank einen Schluck Kaffee. Es tat gut.
»Na, Geheiminformationen rausschmuggeln, in die Luft fliegen, Milett … Mann, ich hab gedacht, ich wär die Revoluzzerbraut.«
Er nickte bloß. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
»Was geht dir auf die Nüsse?«, sagte sie.
»Nichts«, sagte er. »Alles gut.«
»Quatsch. Guck dich doch an. Sieben Tage Scheißwetter im Gesicht.«
»Berufskrankheit.« Er stellte die Tasse hin und lächelte. Es hatte keinen Sinn, Paulina irgendetwas zu erklären. Sollte sie einfach glauben, dass alles gut oder richtig lief. Zumal er derzeit selbst keine Idee hatte, wie es anders laufen sollte. Das Einzige, was er sicher wusste, war, dass er ein paar Antworten brauchte, und das dringend. Antworten, die ihm nur einer geben konnte.
Er zog sein Handy aus der Tasche.
»Das andere«, sagte Paulina, und Beck nickte.
»Ich weiß.« Er fand die Nummer, die er gesucht hatte, im Verzeichnis des iAm und tippte sie in den Nummernblock des Gaia-Handys. Paulina sah ihn interessiert an, gegen den Tresen gelehnt, mit dem milden, spöttischen Lächeln einer abgehärteten Therapeutin. Beck hörte sich anderthalb Minuten das Freizeichen an, dann drückte er auf die rote Taste und wählte Gerrittsens Bürodurchwahl.
»International Institute for Climate Observation, Olsen«, meldete sich Gerrittsens Assistentin und klang genauso unfreundlich wie immer. Als Beck seinen Namen nannte, unterbrach sie ihn allerdings sofort mit einem erleichterten Japsen, und spätestens jetzt wusste Beck, dass überhaupt nichts mehr in Ordnung war.
»Gott sei Dank, Herr Beck«, sagte Olsen.
»Hallo, Frau Olsen. Stellen Sie mich doch bitte mal zu Bjarne rüber, es ist dringend.«
»Er ist nicht da«, sagte Olsen. »Professor Gerrittsen ist nicht da.«
»Wo erreiche ich ihn?«, sagte Thilo. »Ich hab schon sein Handy versucht …«
Die Tür zum Haus wurde von außen aufgestoßen und flog mit lautem Krachen gegen die Wand. Thilo zuckte zusammen und sah wie Paulina zum Eingang, wo zwei schlammverspritzte Gaias einen dritten Mann zwischen sich in die Diele schleppten. Die Computerarbeiter sprangen von den Schreibtischen auf, angeführt von Diego, und die Männer beeilten sich, den offenbar Bewusstlosen durch eine der Türen nach links zu bugsieren, in eine der kleinen ehemaligen Bauernschlafkammern. Die Zimmertür blieb offen stehen, und Thilo sah, dass Nina sich erschrocken die Hand auf den Mund presste. Die Schleifspur, die vom Eingang zur Tür der kleinen Kammer auf dem Boden zurückblieb, bestand nicht nur aus Schlamm, sondern zeigte auch einen sehr eindeutigen Rotton.
Paulina trat an Thilo vorbei, bahnte sich einen Weg durch die anderen Gaias, brüllte ohrenbetäubend laut nach Paddy, ließ sich von den Umstehenden irgendetwas zumurmeln, was Thilo nicht verstand, und knurrte danach einige Flüche, ehe sie in der Kammer verschwand.
Er hörte Olsens Stimme, aber er verstand nicht, was sie sagte. »Entschuldigung«, sagte er. »Noch mal?«
»Wo sind Sie denn?«, sagte Olsen verwundert.
»Im Ferienlager«, sagte er. »Wo ist Bjarne?«
»Wir erreichen ihn nicht, weder in seinem Haus noch auf seinem Handy, das sagte ich ja gerade. Die Security haben wir gestern geschickt, zu ihm nach Haus, aber es war niemand da, und jetzt überlegen die Herren wohl, ob wir die Polizei einschalten sollten.«
»Welche Herren?«
»Dr. Mager und drei Herren aus London und Berlin, vom Vorstand.«
»Augenblick mal«, sagte Beck. »Aber Bjarne ist doch aus Rotterdam zurückgekommen?«
»Ja«, sagte Olsen. »Aber das ist doch schon fast eine Woche her. Vor vier Tagen ist er dann nach Genf geflogen, zu einer Besprechung, am Tag danach war er kurz hier, aber seitdem ist er verschwunden.«
»Agneta?«, sagte Beck mit sanfter Stimme.
»Ja?«, sagte sie leise, und er sah ihr Gesicht förmlich vor sich. Eines hatten Gerrittsens Assistentin und er gemeinsam – sie beide waren ordentliche Menschen, sie beide reagierten unwirsch, wenn Dinge aus dem Ruder liefen, und sie beide näherten sich mit Riesenschritten einer Depression, wenn sie aus dem Ruder gelaufene Dinge nicht mehr eigenhändig korrigieren konnten. Beck fühlte mit ihr. Aber er hoffte auch, dass sie ihre
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