Prophezeiung
alles wieder hin. So, wie wir zwei uns das vorstellen. Ohne dieses ganze Chaos.«
»Ich hoffe«, sagte sie. »Kann ich Sie denn irgendwie erreichen, falls es nötig ist oder falls er wieder auftaucht?«
Er sah, dass Paulina aus der Kammer trat, in die sie den Verwundeten gebracht hatten, müde den Daumen in Richtung der anderen Gaias hob und langsam um den Tisch herum zurück in Richtung Küche steuerte.
»Ich melde mich bei Ihnen«, sagte Beck zu Olsen. »Täglich. Behalten Sie einfach für sich, dass ich angerufen habe.«
»Aber nicht dem Chef gegenüber.«
Doch, wollte er sagen, aber ihm war klar, dass er damit ihr Vertrauen nachhaltig erschüttern würde. Und das konnte er sich absolut nicht leisten, also sagte er freundlich: »Natürlich nicht.«
Er legte auf.
Paulina blieb neben ihm stehen, warf ein zusammengeknülltes, rot verfärbtes Papiertaschentuch in den Ausguss und betätigteeinen in die Platte eingelassenen Knopf. Thilo registrierte überrascht, dass die Aussteiger über amerikanische Küchentechnik verfügten, der Häcksler unter der Spüle arbeitete laut und energisch.
»Scheißviecher«, seufzte Paulina erschöpft und nahm ihren Kaffeebecher vom Tresen.
»Scheißviecher?«, sagte Beck. »Welche?«
»Die kleinen und die großen.« Sie deutete auf die Spüle. »Wenn dich eine von denen erwischt, sag sofort Bescheid. Zwei, drei Stunden nach dem Biss kommst du noch ohne Borreliose aus der Nummer raus, aber eine Nacht mit den Arschgeigen im Arm und du kannst dich als Veitstänzer bewerben, im Dauerbetrieb.«
»Zecken?«, sagte Beck.
»Allerdings«, sagte Paulina. »Jojo hatte siebzehn.«
»Aber die haben ihn nicht so zugerichtet.«
»Nee, das war Zugabe, Zecken reißen dir ja wohl nicht das Bein ab. Scheiße, wie oft hab ich dem Penner gesagt, er soll nicht allein durch den Wald stiefeln? Aber sag das mal so ’nem bekloppten Streichelzoowärter, der und seine verfickten Schäfchen. Mann, wenn die weglaufen und sich verirren, dann frisst sie der Wolf, fertig, Pech, aber da kannste doch nicht einfach hinterher.«
»Hier gibt’s Wölfe?« Thilo zog die Augenbrauen hoch.
»Von hier bis mittenrein nach Polen. Guckst du keine Nachrichten?«
»MDR ist nicht so ganz mein Programm.«
Sie nickte. »Ist ja auch egal. Die lassen uns in Ruhe und wir sie. Solange wir nicht über deren Terrain stolpern: alles gut. Stolpert einer von denen zu unseren Schafen: bumm. Stolpert einer von uns zu denen: dumm.«
Sie trank ihren Kaffeebecher leer und stellte ihn energisch auf den Tresen. »Er wird’s überleben. Scheiße ist nur, dass wir ihn ins Krankenhaus bringen müssen, sprich: anderthalb Stunden Fahrt, sprich: Da bleibt er dann erst mal, sprich: Er quatscht mit anderen in der Kantine, sprich: Scheiße. Weil der Typ einfach das Maul nicht halten kann, der findet immer alle nett. «
Thilo nickte. Und war dankbar, dass Diegos Ruf quer durch den Raum ihm eine Fortsetzung des Gesprächs mit seiner zornigen Schwester ersparte.
»Kamerad, die Daten sind oben. Zeit für einen Anruf.«
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30 Danielle Lupin brauchte keine sechzig Sekunden, um Mavie zu zeigen, wo ihr Platz war. Miletts Stylistin, Visagistin und Friseurin betrat den Salon durch die Doppeltür, die Theo für sie aufschwingen ließ, stöckelte mit schlanken Designerjeansbeinen und ausgebreiteten Armen auf Milett zu und begrüßte den Nobelpreisträger mit Küsschen auf beide Wangen, knurrenden Katzenlauten und verbalen Liebkosungen. Dann wandte sie sich kurz Philipp zu, nickte, ließ dabei mit offen interessiertem Lächeln einen Blick über seinen Oberkörper streichen, und bemerkte zuletzt Mavie. Ihr Lächeln wurde noch etwas breiter, aber erst recht sehr viel mitleidiger, sie legte ihren gekonnt gestylten Kopf auf die Schulter, winkte lässig ab und sagte fröhlich: »Du, wenn ich mit ihm fertig bin und wir genug Zeit haben, dann mach ich bei dir auch noch was.«
Mavie schaffte ein höfliches Nicken, aber Danielles Aufmerksamkeit galt schon wieder ganz und gar ihrem Cherie.
Aldo war nicht viel besser.
Miletts Redenschreiber traf eine Viertelstunde nach Danielle ein. Er war höchstens einssiebzig groß, glatt rasiert von Kopf bis Kragen, steckte in einem sehr ordentlichen Anzug, kaute Kaugummi und begrüßte Philipp und Mavie erst mit einem desinteressierten Lächeln, als Milett die beiden als »Freunde aus Deutschland« vorgestellt hatte.
Jean-Baptiste und Goran, Miletts »Klimakoryphäen«, trafen um zwölf ein und hätten die
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