Prophezeiung
weggetretenen Damen und Herren auf der anderen Tischseite, ließ beide Hände gleichzeitig auf die Armlehnen seines Stuhls klatschen und wandte sich Mavie zu.
»Na«, sagte er. »Gehen wir shoppen?«
»Was?«
»Willst du mit?«
»Wohin mit?«
»Na, hier gibt’s doch ’ne Stadt, um die Ecke.«
Sie schüttelte fassungslos den Kopf. »Bist du bescheuert?«
»Ich? Nee. Aber die«, sagte er und deutete auf die, die ihn weiterhin nicht einmal bemerkten, »brauchen uns gerade nicht. Nee, besser, die können uns nicht mal brauchen. Also machst du dich entweder zum Horst, oder du gehst mit mir einen Kaffee trinken.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Selber schuld«, sagte er und erhob sich. »Brauchst du irgendwas?«
»Einen freien Blick auf das Display da drüben.«
»Kann ich nicht mit dienen. Sonst noch was?«
»Nein.«
»Ach, komm, ’nen Burger?«
Sie konnte nicht anders, sie musste lachen. »Du bist doch wirklich nicht ganz dicht.«
»Weiß ich. Geheimnis meines Erfolgs, im Beruf und bei den Frauen. Jedenfalls allen mit Helfersyndrom. Sag nichts, ich weiß schon, so was hast du natürlich nicht.« Er sah über den Tisch, zu Martha, nickte in ihre Richtung und sagte leise: »Aber falls wir mit der Bande noch ein bisschen weitermachen, mit Presse und so – willst du lieber so ’ne stramme Hose wie die Friseurin oder das Modell Flugbegleiterin im Ruhestand von der kleinen Kernfrustrierten?«
»Hau ab«, zischte sie zurück, grinsend.
»Bin schon weg«, sagte er und fügte hinzu, laut, in Richtung der anderen: »Jungs, bis später.«
Jean-Baptiste war der Einzige, der tatsächlich kurz aufsah, lächelte und unsicher die Hand zum Abschied hob.
Mavie fuhr die Hand aus und berührte Philipps Unterarm. »Philipp?«
»Ja?«
»Du kannst mir doch was mitbringen.«
»Schon klar. Kostüm. Aber nichts graue Maus, sondern Lagerfeld.«
»Notfalls. Aber vor allem: einen Rechner, falls es so was gibt.«
»Na, was glaubst du denn, wieso ich losfahre?«
Sie erwiderte sein Lächeln. »Pass auf dich auf.«
»Wer denn sonst?«, sagte er und ging.
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31 Als Philipp um kurz nach sechzehn Uhr fluchend die Tür des Gästezimmers aufdrückte, lag Mavie auf dem Bett und telefonierte mit ihrem Vater, nachdem sie bereits länger mit Thilo gesprochen und Daniel erreicht hatte, im Auto auf dem Klimafluchtweg Richtung Spanien, und Capitano Sotavento wegen seines Verhaltens zusammengefaltet hatte. Daniel hatte, für seine Verhältnisse verblüffend energisch, dagegen gehalten, die Informationen auf ihrem Mem-Stick seien nun mal nicht ihre Privatsache gewesen, sondern extrem wichtig und von öffentlichem Interesse, außerdem habe er nach Helens Tod gar nicht anders gekonnt, deshalb habe er sich nicht zu entschuldigen, sondern, wenn überhaupt, sie sich bei ihm zu bedanken. Dass er mit zwei Freunden im Auto saß, kurz vor Kassel im Stau Richtung Süden, verstand sich von selbst. Schließlich war er nicht bescheuert, und auch wenn die Behörden immer noch abwiegelten und verlauten ließen, die Lage werde sich bald entspannen, ließen Prognose und Fakten ihm keine Wahl.
Das gesamte Hamburger Hafengebiet war nach nun mehr als zwei Wochen Dauerlandregen bereits praktisch unpassierbar, die Elbbrücken teilweise gesperrt, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die elbaufwärts gelegenen Stadtgebiete endgültig abgeschnitten wären. Das Wasser stand sechs Meter dreißig über Normalnull, noch hielten die Deiche, aber die Sicherheit, in der man sich im Wissen wiegte, dass man in der jüngeren Vergangenheit auch schon sechs Meter fünfzig überstanden hatte, war trügerisch. Die bislang höchsten Wasserstände waren nur temporäre Hochwasser gewesen, keine dauerhaften, und, weit wichtiger, sie hatten die Deiche und Dämme immer nur von einer Seite aus durchweicht, von der Elbe aus. Nicht zusätzlich von oben und von hinten, wo das Regenwasser längst in den Straßen stand. Wenn es weiter regnete und das Wasser in der Elbe auf über sieben Meter stieg, wäre alles irgendwann vorbei, und das schlagartig. Die unvermeidbaren Folgen malte Daniel Mavie in den düstersten Farben aus – Zusammenbruch des Stromnetzes, Zusammenbruch der Kommunikation und der gesamten Logistik. An Wasser würde es ihnen nicht mangeln, aber an allem anderen.
Edward hatte im Gespräch mit seiner Tochter die Lage etwas weniger dramatisch geschildert, aber das lag, wie Mavie wusste,vor allem an seiner höflichen Aversion gegen Hysterie – sowie daran,
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