Prophezeiung
die väterliche Hoffnung, Mavie möge es gut gehen – aber im Unterschied zu Edward wusste Beck, dass Mavie sich nicht mit beiden Beinen auf sicherem Boden befand, sondern 10 000 Meter höher, irgendwo zwischen Genf und Hamburg in einem veritablen Sturm, dessen Ausläufer inzwischen auch im Gaia-Camp zu spüren waren. Sein Versuch, sie zu erreichen, war gescheitert, allerdings nicht auf seiner Seite der Funkmasten, sondern auf ihrer. Er war selbst überrascht, dass das Netz hier draußen, in der ostdeutschen Pampa, noch immer funktionierte, aber diesem glücklichen technischen Umstand verdankte er seinen seit einigen Minuten deutlich größeren Optimismus, also fragte er sich ausnahmsweise nicht, wieso und weshalb der Anruf ihn überhaupt erreicht hatte.
Als sein Gaia-Handy geklingelt hatte, sah er auf dem Display verblüfft, dass Olsen diesmal die richtige Nummer gewählt hatte, nahm den Anruf entgegen und war überrascht, direkt Gerrittsens Stimme zu hören. Eine Stimme, die nicht mehr betrunken oder anderweitig angeschlagen klang, sondern wieder fast so, wie er sie kannte. Mit dem Unterschied, dass Gerrittsen diesmal keinen Vortrag hielt, sondern lediglich feststellte, das habe er nicht gewollt.
Beck entschied sich, auf die lange Moralpredigt zu verzichten, die ihm auf der Zunge lag.
»Was heißt das?«, sagte er bloß. »Es stimmt alles nicht?«
»Doch. Natürlich«, sagte Gerrittsen, für einen Augenblick wieder ganz der Alte. »Es stimmt alles, die Berechnungen sind korrekt. Fast. Und niemand kann mir einen Vorwurf machen wegen einer Varianz von zehn Jahren, immerhin reden wir hier über Zyklen von Jahrmillionen.«
»Was?«
»Der Zyklus. Die Annäherung an den Äquator der Milchstraße.«
»Den was?«
»Den Äquator …«
Beck hatte ihn verstanden, aber er glaubte es immer noch nicht. »Gerrittsen, das ist Astrologie, keine Wissenschaft. Sagen Sie mir einfach, dass Sie mich auf den Arm nehmen. Ihr Gz basiert auf kosmischen Zyklen? Konstellationen, die alle vier Millionen Jahre vorkommen?«
»Nein, das ist nur ein Parameter von vielen, einer der Faktoren, aber natürlich müssen wir den berücksichtigen. Die zunehmende Sonneneinstrahlung hingegen ist keine Spekulation, sondern gesichert …«
»Aber daraus lässt sich doch keine Wettervorhersage entwickeln.«
»Das habe ich auch nicht behauptet. Ich habe lediglich gesagt, dass dieses Modell zukünftig präzisere Klimaprognosen erlaubt, möglicherweise.«
»Und das haben Sie auch Eisele klargemacht?«
Gerrittsen schwieg.
»Gerrittsen?«
»Ja, das habe ich ihm gesagt. Und er war sich darüber im Klaren.«
»Offensichtlich nicht.«
»Sie können nicht mich dafür verantwortlich machen, dass er mehr Zutrauen als ich selbst in die Genauigkeit …«
Beck unterbrach ihn wütend. »Haben Sie ihm auch gesagt, dass Sie Wissenschaftler sind? Dass Wissenschaft und Experiment immer nur einem Ziel dienen, nämlich Thesen zu widerlegen? Nicht einfach irgendwas zu glauben, weil es einem gerade in den Kram passt, und alles andere zu ignorieren? Dass man nicht aufhört, wenn einem das Ergebnis gefällt, sondern genau da erst anfängt? Wo haben Sie gelernt, beim IPCC ?«
»Ich bin Wissenschaftler«, protestierte Gerrittsen schwach. »Ich habe nie gesagt, dass diese Prognose …«
»Nein, Sie haben gar nichts gesagt. Vor allem haben Sie nicht gesagt, dass das alles auf wackligen Beinen steht. Sie haben geschwiegen, Sie haben gesoffen, und Sie haben sich versteckt. Aber jetzt werfen Sie mal einen Blick aus dem Fenster oder schalten Sie Ihren Fernseher ein oder gehen ins Netz. Ein paar Hundert Millionen Menschen glauben den Schwachsinn, weil Sie das Glück haben, dass das Wetter zufällig zu Ihrer Prognose passt – oder jedenfalls gepasst hat, denn die Stürme hat Prometheus natürlich nicht kommen sehen.«
»Nein. Hören Sie, Beck, es wird alles nicht so schlimm kommen, wie Prometheus vorhersagt …«
»Ich weiß«, sagte Beck. »Aber dass ich das weiß, nützt uns überhaupt nichts. Und dass Sie es wissen, nützt uns genauso wenig. Entscheidend ist, was die Menschen da draußen glauben. Die müssen es wissen. Die müssen wissen, was auf sie zukommt – oder was eben nicht auf sie zukommt.«
»Deswegen rufe ich Sie ja an. Um zu fragen, was ich dazu beitragen kann.«
Beck nickte. Und sah sich in dem Raum um, in dem er saß, in der Stallgasse, an deren Tischen die Gaia-Programmierer verfolgten, was auf der Welt geschah. Die Arbeit an den SOS -Filmen hatten
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