Prophezeiung
Paralleluniversum, in dem sie sichbewegten, waren sie die Retter der Welt, nicht Milett. Wer seine Nachrichten aus dem Web bezog, wusste das – und wusste auch, dass Leland Milett bloß ein Aufschneider war, ein Angeber. Wer hingegen seine Nachrichten aus dem Mainstream bezog, hatte Diegos und Paulinas Namen nie gehört – und hielt Milett für den Mann des Jahres.
Er hatte auch Philipp eingeladen. Der allerdings war direkt nach der Landung in Nizza verschwunden, in einem gemieteten Porsche, und hatte versprochen, er werde pünktlich zur Rede ihres Gastgebers eintreffen. Offenbar hatte er geahnt, dass Milett auf sich warten ließe, denn erst jetzt, zwanzig Minuten später als geplant, sah Mavie ihn den Security-Leuten vor dem Haus seinen Ausweis und seine Einladung zeigen. Sie tasteten ihn ab und ließen ihre Scanner über seine Brust und seine Beine gleiten, er ertrug es mit spöttischem Lächeln und sagte etwas zu einem der Männer, was Mavie nicht hören konnte. Aber dem Blick des Security-Mannes nach zu urteilen, unterschieden sich dessen und Philipps Auffassung von Humor.
Er zog sein Jackett nicht wieder an. Er schritt durch die Schar der Gäste, hemdsärmlig, nickte nach rechts und links und erntete verärgerte Blicke der Maßanzüge sowie interessierte der Damen. Er sah gut aus, wie immer. Braun gebrannt, trainiert, erholt und souverän.
»Na«, sagte Mavie, als er sich neben sie stellte.
»Na«, sagte er. »Vorgruppe schon fertig?«
»Gibt keine«, sagte sie.
»Klatscht ihn doch raus.«
Sie schüttelte den Kopf. »So was macht die Upperclass nicht.«
Er griff nach ihrem Glas, trank einen Schluck, ohne sie um Erlaubnis zu bitten, und sagte genüsslich »aaahhh«, so laut, dass die anderen Verdurstenden es hören mussten. »Die letzten Eiswürfel vor der Klimakatastrophe.«
»Wo warst du?«, fragte sie.
»Interessanter Kontakt«, sagte er und setzte ein dünnes Verschwörerlächeln auf. »Freund von Slatko.«
»Waffen oder Drogen?«
»Private Equity.«
»Aha.«
»Investiert in Ainulos. Große Nummer.«
»Aha«, sagte Mavie, einigermaßen desinteressiert. Ihr war grundsätzlich gleichgültig, wie er sein Vermögen mehrte, aber an diesem Tag war es ihr besonders egal. Seine zehn Millionen hatte er sich nach einigem Hin und Her von der Bahamas-Briefkastenfirma zurückholen können, nachdem seine Bank die irrtümlich geleistete Zahlung zurückgefordert hatte – der Besitzer der Firma, Mr Hedges, hatte mangels Puls keine Forderungen mehr geltend machen und das Geld auch nicht rechtzeitig beiseiteschaffen können. So war und blieb Philipp ein wohlhabender Mann, erfolgreich, unabhängig und offiziell fast geschieden.
»Nicht besonders originell, oder?«, sagte er.
»Nein«, sagte sie und meinte das Gesprächsthema.
»Einfach nur die Buchstaben umzudrehen.« Thilo gab einen belustigten Laut von sich.
Mavie begriff nicht sofort.
»Ainulos.«
»Ach, komm«, sagte sie. »Nicht schon wieder.«
Sie wusste nicht mehr, was sie dazu sagen sollte, zu seiner neuen Macke. Sie hatte schon einen Verschwörungstheoretiker in der Familie, ihr Bedarf war gedeckt.
»Wetten?«, sagte er. »Sitzt weiterhin auf den Caymans, hat schon wieder all seine unsichtbaren Krakenarme ausgestreckt und ist massiv investiert in Windenergie und Clean Coal. Wart’s ab: neues Gesicht, neuer Name, die alten Verbündeten, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass der aufhört, Krieg zu führen?«
»Ich glaube ernsthaft, dass Tote keinen Krieg führen.«
»Der ist genauso wenig tot wie du und ich.«
»Philipp.«
»Ainulos. Solunia. Damian Frost, CEO ? Hey, dass ich nicht lache.«
Edward zog nachdenklich die Augenbrauen hoch, Thilo lachte. Mavie nicht. Sie konnte es nicht mehr hören. Fritz Eisele war tot, niemand musste ihn mehr suchen oder jagen, er hatte seine Strafe erhalten und schmorte entweder in der Hölle oder würde, falls die Buddhisten recht hatten, eine weitere Aufstiegschance in Richtung Nirwana bekommen, beginnend mit einem ersten neuen Leben als Küchenschabe. Aber Philipps neues Hobby, Gespenstersehen, brachte niemanden voran, und ihrer Ansicht nach hätte er besser getan, sein Geld zu spenden, statt es für First-Class-Reisen Richtung Karibik oder Detektive und obskure Whistleblower aus dem Fenster zu werfen, die allesamt nichts weiter zu verkaufen hatten als Gerüchte.
Sie war froh, dass Milett sie erlöste.
Genauso wie alle anderen.
Denn als der Nobelpreisträger jetzt endlich auf das von einem Baldachin
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