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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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als trüge sie eine Brille, die sie nicht brauchte. Bleib bei mir? Sie konnte kaum den Finger rühren. Wo sollte sie schon hingehen?
    »Wir sind gleich da«, sagte er, »zehn Minuten, Viertelstunde. Durchhalten.«
    Langsam wandte sie den Kopf wieder nach vorn und sah jetzt auch ihren Vater direkt vor sich knien, durchnässt, auf nassen Planken, ebenfalls leicht unscharf. Sie hatte ihn noch nie so erleichtert gesehen und fand das unpassend. Wieso guckte er so? Er war klatschnass, das Wetter war grauenhaft, und die Leute, mit denen er reiste, waren weiß Gott nicht seine intellektuelle Kragenweite. Er konnte kleine Kinder nicht leiden, ganz gleich, in welcher Farbe. Wieso also guckte er so glücklich und gerührt?
    Er drückte ihre Hand, ließ es aber auch gleich wieder sein, als sie gellend aufschrie.
    »Gott sei Dank«, sagte er. »Gott sei Dank.«
    Sie sah ihn nicht richtig. Sie musste sich einbilden, dass er weinte. Das konnte nur der Regen sein, der ihm über das Gesicht lief.
    »Was«, sagte sie und verstummte, entsetzt über ihr eigenes Krächzen. Sie räusperte sich, und sogar das tat entsetzlich weh. Alles tat weh. Alles brannte. Ihre gesamte Haut fühlte sich an, als hätte sie acht Stunden in der griechischen Mittagssonne gelegen.
    »Kopfschmerzen«, krächzte sie. »Aspirin.«
    »Gleich«, hörte sie Philipp sagen. »Wir sind gleich da.«
    »Wo?«
    »Maria Hilf.«
    Sie begriff nicht, obwohl sie sich erinnerte, das schon einmal gehört zu haben, und zwar nicht als religiösen Hilferuf.
    »Krankenhaus«, half Philipp ihr auf die Sprünge. »Wir kommen relativ dicht ran, über Moorburg, die letzten paar Hundert Meter brauchen wir die Schlauchboote – und ein paar Krankenwagen für die Fahrt den Berg rauf, aber das ist organisiert. Wir haben Glück, die Netze stehen wieder, jedenfalls immer wieder mal.«
    Sie sah ihn weiter verständnislos an. Und versuchte sich zu erinnern. Was war geschehen?
    »Ist etwas weiter weg«, sagte er, »aber die Krankenhäuser in der Stadt kannst du vergessen, in den Ambulanzen ist Krieg. Und im Maria Hilf hab ich Freunde. Hat doch manchmal Vorteile, so ’ne Mitgliedschaft im gleichen Golfklub wie die Halbgötter.«
    Erst jetzt bemerkte sie den Verband an seinem linken Arm. Nass und rot und nur noch an den Rändern vom ursprünglichen Weiß. Und ihre Erinnerung kehrte zurück, schlagartig.
    »Du bist verletzt.«
    »Ja«, sagte er, nickte und brachte ein Lächeln zustande. »Wollte ich schon immer mal sagen: nur ’ne Fleischwunde.«
    Sie sah ihren Vater an. »Du?«
    »Nein«, sagte er. »Alles heil. Die anderen auch, Karla, Max. Hannah ist groggy, aber stabil. Thomas hat nichts abgekriegt, sein Boot schon. Das Ding hat ’ne Menge Löcher, schafft’s aber auch noch bis Harburg, bis ins Krankenhaus.« Da sie ihn verständnislos ansah, fuhr er fort, mit einem Nicken an ihr vorbei, Richtung Bug des Schiffes, auf dem sie sich befanden. »Teil des Deals mit Vincent. Wir bringen so viele Frauen und Kinder, wie wir können, zu unseren Ärzten. Ist ja auch das Mindeste.«
    »Vincent«, sagte sie.
    »Ja«, sagte Edward. »Der Mann, der dich rausgezogen hat.«
    Gegen den brüllenden Widerstand ihres ganzen Körpers schaffte Mavie es, den Kopf leicht zu drehen, nach links, über die Reihen der anderen mit ihnen reisenden Boat People, und sah in Richtung des Barkassenbugs. Drei große, ausgezehrte Schwarze standen dort, auf ihre Waffen gelehnt, und einer von ihnen sah jetzt in ihre Richtung. Lächelnd.
    Sie erwiderte das Lächeln, so gut sie konnte.
    »Was ist mit den anderen?«, fragte sie.
    »Welchen?«
    »Denen in den Booten.«
    Philipp zog die Augenbrauen hoch. »Die nehmen wir nicht mit.«
    Mavie wollte ihn fragen, was das bedeutete, als sie die Musik hörte, die so ganz und gar nicht hierher passen wollte. Den Raiders March. Für einen Augenblick war sie sicher, dass ihre letzten Nerven durchgebrannt waren und es sich um eine akustische Fata Morgana handelte, aber dann griff Philipp in seine Jackentasche, zog seinen iAm heraus und beendete den Marsch, indem er nach einem erstaunten, erfreuten Blick auf das Display den Anruf entgegennahm.
    »Hey!«, brüllte er verblüffend laut, und während Mavie sich noch unwillkürlich fragte, wie er es geschafft hatte, sein Handy zu retten, fügte er nur geringfügig leiser hinzu: »Sag mir bitte, dass nicht nur wir einen guten Job gemacht haben!«
    Er hörte zu, dann sagte er: »Gott sei Dank. Ja, wir auch, alle. Um Haaresbreite. Mavie hat sich

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