Prophezeiung
Millionen, die diese Welt beherrschen, die alle Annehmlichkeiten genießen, die die Welt zu bieten hat – und nicht bereit sind zu teilen. Schon gar nicht gerecht.«
Milett ließ eine neuerliche Pause entstehen. Es blieb still. Verblüffend still. Mavie bedauerte für einen Augenblick, dass Paulina abgesagt hatte. Sie hätte garantiert nicht geschwiegen.
Sie hörte Thilos leisen, verächtlichen Laut von links und sah ihn an, im Wissen, dass er dasselbe gedacht hatte. Und während Milett wieder zu sprechen begann, jetzt deutlich jovialer, mit einem Dank an all jene, die ihn zur Feier des Tages so reichlich mit Kisten jenes guten Rotweins bedacht hatten, den er bis zu seinem hundertsten Geburtstag zu genießen gedachte, von einer 100 000-Dollar-Rede zur nächsten Preisverleihung eilend, beugte sich Thilo zu ihr herüber und flüsterte ihr ins Ohr: »Der Mann muss gestoppt werden.«
»Wir klauen ihm nachher seinen ganzen Rotwein«; flüsterte sie zurück, »versteigern das Zeug bei eBay und spenden den Erlös.«
»Deal«, flüsterte Thilo. »Und danach ruinieren wir ihm den Ruf, das neue Camp steht, und das findet diesmal kein Mensch.«
»Venceremos!«, sagte sie, so laut, dass es auch Edward, Philipp und alle anderen hörten, die in ihrer Nähe standen.
Sie bemerkte Philipps Blick, und der sprach Bände. Eine Frau, die die Wahl hatte zwischen ihm und diesem Discountintellektuellen und auch nur erwog, sich für Letzteren zu entscheiden, gehörte umgehend eingewiesen und gründlich an den Geschmacksnerven operiert.
Mavie erwiderte seinen Blick mit einem freundlichen Lächeln. Seit er seine zehn Millionen zurückbekommen hatte, schuldete sie ihm keine 10 000 Abendessen mehr. Und das eine festliche Dinner, das sie ihm dennoch versprochen hatte, war bislang schlicht und ergreifend nicht zustandegekommen, weil sie sich nicht aufein Restaurant hatten einigen können. In dieser Hinsicht passten sie zueinander, sie war genauso stur wie er.
Thilos Sturheit war auch nicht ohne. Aber eben auch nicht das Einzige, was er und sie gemeinsam hatten.
Sie schloss die Augen und wandte das Gesicht dem über alles Leben auf der Erde entscheidenden Gestirn zu, das es schon wieder ein bisschen zu gut mit ihnen meinte. Miletts Stimme drang von weit her zu ihr, inzwischen angekommen bei amüsanten Heldengeschichten aus dem Leben des allerwichtigsten Menschen von allen.
Sie lächelte leise über sich selbst, als sie sich beim Gedanken ertappte, seine Reden werden mir jedenfalls nicht fehlen.
3000 Kilometer entfernt von Mavie und ihren langsam schmelzenden Eiswürfeln, lächelte Djamal nicht.
Er hatte gesehen, was Omar gesehen hatte. Er hatte endlich verstanden, was die Worte des Alten bedeuteten. Omar hatte nicht das Meer aus glitzernden kalten Streifen gemeint, das aus dem Himmel gefallen war.
Omars Meer war nicht kalt, es war heiß, es schimmerte silbern, in langen, festen Wellentunneln, und sein Wasser konnte niemand trinken.
Und es war groß. Sehr groß.
Die Herren des Meeres hatten sie abgewiesen, zurückgeschickt, durch die Wüste, die sie zuvor durchquert hatten. Djamal und seine Karawane, bestehend aus stolzen Männern und ihren Frauen und Kindern, waren unter den wenigen gewesen, denen die Herren der Wüste überhaupt etwas von ihrem anderen Wasser gegeben hatten, dem trinkbaren, das ihnen aus silbernen Schrauben in die Hände floss. Sie hatten ihnen zu trinken gegeben, ein wenig. Vielleicht weil die Handvoll Tuareg lange vor allen anderen das silberne Meer erreicht, vielleicht weil die Herren des Meeres Mitleid mit ihnen gehabt hatten, vielleicht wegen ihrer leuchtenden Blicke auf Fatima und Jamila.
Blicken, die Djamal nicht gefallen hatten.
Er hatte das Trinkwasser der Herren des Meeres genommen. Weil er keine Wahl gehabt hatte.
Und sie hatten ihn fortgeschickt. Zurück in die Wüste.
Sie hatten das Silbermeer gebracht, glitzernd und endlos. Das Ende der Tuareg.
Djamal hatte gesehen, was Omar gesehen hatte.
Er würde zurückkehren ans Ufer des heißen Meeres, dessen Wasser sich nicht trinken ließ.
Und würde es in Flammen sehen.
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DANK & EMPFEHLUNGEN DER WEGGEFÄHRTEN
Meinem Freund und gelegentlichen Spielleiter Edzard Onneken danke ich für die vier Jahre zurückliegende Aufforderung »Denk doch mal kurz über Klima nach« sowie die Bekanntschaft mit Nico Hofmann. Dem ich ebenfalls danke, für »biblisch!« sowie den nett gemeinten Versuch, das Projekt auch auf den Bilderweg zu bringen.
Lutz
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