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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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ab.«
    Enrique ließ seinen Blick nur kurz vom Schirm in ihr Gesicht pendeln, dann sah er wieder auf die Erdkugel, mit gerunzelter Stirn.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er, aber es lag keine Sorge in seinem Tonfall, sondern tiefes Misstrauen. Als fragte er nicht sie, sondern sich selbst. Muss ich das melden?
    »Natürlich«, sagte Mavie. »Alles gut. Ich bin sofort fertig.«
    Er blieb noch einen Augenblick stehen und versuchte mit einem harten Blick, sie zu einem freiwilligen Geständnis zu bewegen, aber den Gefallen tat Mavie ihm nicht. Tapfer lächelte sie ihr buddhistisches Lächeln weiter, bis er endlich auf dem Absatz kehrtmachte und unter skeptischen Schlüsselklirren langsam den Raum verließ.
    Mavies Gedanken rasten. Allerdings nicht zielgerichtet, sondern kreuz und quer durcheinander. Und ganz weit nach vorn drängte sich binnen weniger Sekunden eine Frage, die ihr besonders dringlich und gleichzeitig besonders albern vorkam. Wieso hast du deinen iAm auf dem Zimmer gelassen? Wieso hast du nur diesen winzigen Mem-Stick in der Tasche, auf den nicht mal beschissene 32 Gigabyte passen?

[Menü]
    8 Sie schaffte es, sich von Enrique zu verabschieden, lächelnd, gelöst, als wäre nichts passiert, als stünde sie nicht auf Bambusbeinen, als trüge sie nicht die Vorhersage einer Katastrophe fingernagelgroß in ihrer Hand. Als wäre alles normal, wie immer. Sie hatte nichts getan, nichts Verbotenes. Sie hatte keine Spuren hinterlassen, jeden Verlauf, jede Spur gelöscht. Der Rest waren bloß belanglose Zahlenkolonnen, sachlich komprimiert auf dem elektronischen Fingernagel, auf dem vorher ihr ganzes Leben als Back-up gespeichert gewesen war, alles Private, alle Fotos, Filme, die ganze Musik. Ersetzt durch 200 Tage à dreißig Seiten Zahlen, die sie natürlich ebenfalls umgehend löschen würde. Um wieder ihr ganz normales Leben auf dem Mem-Stick zu sichern. Sobald man ihr erklärte, was das alles zu bedeuten hatte.
    Sie schaffte es in ihr Quartier, benommen, über die menschenleeren Wege, begleitet nur vom Lärm der Zikaden und einem fast genauso lauten Dröhnen zwischen ihren Ohren.
    Betäubt drückte sie dir Tür hinter sich ins Schloss und ging wie ferngesteuert auf ihren iAm zu, der auf dem Couchtisch lag und mit sanftem Blinken den Eingang diverser Nachrichten verkündete. Sie zog den Mem-Stick aus ihrer Hosentasche, kopierte die Daten auf den iAm und sah, dass Helen viermal versucht hatte, sie zu erreichen. Außerdem Edward. Sowie zwei weitere Anrufer, deren Rufnummern unterdrückt geblieben waren.
    Sie ging ins Bad, drehte den Wasserhahn auf und klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht, aber das Dröhnen in ihrem Kopf blieb.
    »Herrgott«, sagte sie laut zu sich selbst und übertönte so das Geräusch, allerdings nur für einen Augenblick. Es kehrte binnen Sekunden zu alter Lautstärke zurück. In Begleitung diverser leiser Stimmen, die durcheinander wisperten. Einige der Stimmen klangen beruhigend, beschwichtigend, andere alarmiert, wieder andere sachlich, aber offensichtlich konnten sie sich nicht auf ein gemeinsames Thema einigen.
    Mavie zog den Mem-Stick erneut heraus. Eine der Stimme war deutlich zu vernehmen und verlangte nicht viel. Mavie war finster entschlossen, wenigstens sie zum Schweigen zu bringen. Sie dachte nach. Sah sich im Bad um und entschloss sich für die Kulturtasche. Öffnete diese, nahm einen Tampon heraus, ritzte das Plastik am unteren Ende des Wattebauschs mit dem Nagel an,drückte den Mem-Stick vorsichtig hinein und steckte den Tampon zurück zwischen seine Geschwister. Die Stimme verschwand, die Kakofonie nicht.
    Sprechen.
    Gedanken austauschen. Zu viele für einen Kopf. Sprechen. Aber mit wem? Eine Stimme von außen hören, die relativiert, die beruhigt, die die Geräusche ordnet. Wer? Wessen Stimme?
    Edward.
    Sie griff nach dem iAm, wischte zweimal über das Display und wollte gerade die Nummer ihres Vaters antippen, als das Gerät zu vibrieren begann. Ungläubig starrte Mavie auf die Anzeige. Unbekannter Anrufer? Der einzige ihrer Freunde, der seine Rufnummer unterdrücken ließ, war Daniel. Aber konnte Daniels Stimme jene sein, die all die anderen zum Schweigen brachte?
    Sie nahm den Anruf entgegen, mit einem zittrigen »Ja«.
    »Eisele«, sagte die sanfte, tiefe Stimme ihres Mentors, und Mavie seufzte ein »Oh«, das von Herzen kam.
    Die Stimmen schwiegen.
    Eisele auch. Jedenfalls für einen Augenblick, dann fragte er: »Habe ich Sie geweckt?«
    »Nein«, sagte sie. »Nein, ganz

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