Prophezeiung
mitkamen.Bloß nichts überstürzen. Immer mit der Ruhe. Wofür hielt er die Prognose? Für eine akademische Übung? Für etwas, das man ein paar Monate diskutieren konnte? Abwägen?
Sie ließ den Zeigefinger über das Display gleiten, tippte auf die Anruferliste und dann auf Helens daumennagelgroßes Gesicht.
»Hmm?«, murmelte eine Stimme, die entfernt nach der ihrer Freundin klang, allerdings sehr belegt.
»Helen?«
»Hmm. Dassisnichwahrweissuwiespätdasis?«
Mavie sah auf die Uhr. Halb zwei war in der Tat ein bisschen zu spät, jedenfalls mitten in der Woche.
»Entschuldige«, sagte sie. »Ich versuch’s morgen noch mal, hab nur gesehen, dass du …«
»Issjagut«, sagte Helen, und wühlte sich aus den Kissen. »Ich wollt ja mit dir sprechen, das glaubst du nicht.«
»Was ist passiert?«
»Das glaubst du nicht. Der Typ? Hammer.« Sie ließ Mavie einen Laut hören, der sich nicht so recht zwischen Ponyhofbegeisterung und Wolllust entscheiden konnte. »Der kann küssen, das glaubst du nicht. Und sonst auch.«
»Wer?«
»Felix.«
»Wer ist Felix?«
»Hab ich dir doch erzählt.«
»Nee.«
»Mein Date. Aus dem Netz, Facedate? «
»Kann sein, dass ich nicht mehr mitkomme bei deinen Affären.«
»Sind ja auch fürchterliche Flops, eigentlich. Aber er nicht, der nicht. Meine Fresse, bin ich verliebt.«
»Verliebt? Geht’s nicht ein bisschen kleiner?«
»Nee, die Phasen haben wir alle ganz schnell erledigt, Werbewochen, schick essen gehen, Vorlieben austauschen, geil sein – alles heute Abend durchgehechelt, und, hey, hattest du schon mal Sex zwischen Hauptgang und Dessert?«
»Was?«
»Im Plato. «
»Wo, auf dem Klo?«
»Nee, auf dem Weg dahin. Da ist so’n Büro, und die Tür war auf, und der Schreibtisch war absolut perfekt …«
Mavie schüttelte den Kopf. »Erspar mir die Details.«
»Nee, eben nicht! Der hat …«
»Helen, bitte.«
»Ich frag den morgen, ob er noch einen Bruder hat, den kriegst du dann – glaub mir, da bleibt dir sogar ohne CO 2 die Luft weg, da vergisst du alles …«
»Helen.«
»Ja, Schatzi?«, schnurrte Helen.
»Das ist schön.«
»Oh ja.«
»Und du bist ganz sicher, dass das kein One-Night-Stand war?«
»Und wenn schon. Nein, war’s nicht.«
»Und dass er kein Psychopath ist.«
»Ein Tier, ja, aber kein Psychopath.«
»Herrgott.«
»Na, so weit würde ich nun nicht gehen. Aber frag mich noch mal, wenn wir ’ne ganze Nacht Zeit hatten.«
Mavie lachte. Und es tat gut. Es tat gut, Helen zu hören, und es tat gut zu lachen. Es nahm dem, was sie zu sagen hatte, die Schwere.
»Arbeitest du zwischendurch auch noch – oder kommt er vorbei und sieht sich mit dir den Kopierer an?«
»Hoffentlich. Nein, ich arbeite, klar. Und zwar sozusagen gleich wieder.«
»Tust du mir einen Gefallen?«
»Jeden.«
»Ruf mal deine Kontakte an und frag, ob irgendjemand was gehört hat. Von Klimaprognosen fürs Frühjahr, die über das normale Zeug hinausgehen.«
»Wohin hinaus?«
»Über die normalen Liebesdienste fürs IPCC . Ob jemand was anderes hat als ›es wird 0,1 Grad wärmer und der Meeresspiegel in Tuvalu steigt mittelfristig um 0,06 Zentimeter‹.«
»Weil?«, fragte Helen und klang plötzlich sehr wachsam.
»Weil ich dich bitte.«
»Und weil ich zwei und zwei zusammenzählen kann, gestattemir die Ergänzung: ›Weil ich hier am IICO bin und etwas gefunden habe, was eine Hammerstory für meine Freundin Helen sein könnte.‹«
Mavie seufzte. »Ich will erst mal nur wissen, ob ich Gespenster sehe.«
»Beschreib mir, von welchem Designer deine Gespenster eingekleidet werden, und schon bin ich bei dir.«
Mavie seufzte noch einmal. Und dann fasste sie in gebotener Kürze zusammen, was Prometheus vorhersagte – und was Eisele von der Prognose hielt. Helen stellte keine Fragen, Helen hörte zu. Mavie hörte sie nicht einmal atmen. Erst als sie fertig war, sagte Helen: »Wow.«
Es klang nicht mitfühlend. Es klang gierig.
»Es ist keine Story, Helen«, sagte Mavie.
Helen schwieg.
»Sollte was dran sein, ja«, sagte Mavie. »Dann ist es eine Story. Eine Riesenstory, du kriegst einen Pulitzerpreis und meinetwegen den Nobelpreis obendrauf. Aber erst mal brauche ich bloß deine Antennen. Frag …«
»Ich weiß schon, was ich tue, Süße«, unterbrach Helen sie und klang halb beruhigend, halb indigniert, dass Mavie offenbar an ihrer Professionalität zweifelte. »Keine Sorge. Ich reiße dich nicht rein, ich kenne dich überhaupt nicht. Ich frage nur mal rum,
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