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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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nicht behauptet, Gerrittsen hätte da drüben eine Zeitmaschine stehen. Nur ein erschreckend präzises Programm.« Sie atmete tief durch und erinnerte sich, mit wem sie sprach. »Entschuldigung. Aber glauben Sie mir, Professor, so etwas haben Sie noch nie gesehen, das Ganze ist eine Sensation, ein Quantensprung – das, worauf wir alle immer gewartet haben, nur dass wir alle dachten, es sei erst in frühestens zwanzig Jahren überhaupt auch nur annähernd zu programmieren, weil uns die Rechnerkapazität fehlte. Gerrittsen hat einen Weg gefunden, ohne Frage …«
    »Mavie«, unterbrach Eisele sie erneut. »Das ist unmöglich.«
    »Ich weiß, aber …«
    »Nein«, sagte Eisele. »Was auch immer Sie da gesehen haben …«
    »Eine Prognose für den Weltuntergang …«
    »Nein, Mavie. Eine Simulation.«
    Sie schwieg. Alles hatte Grenzen, auch ihr Respekt vor seiner besonnenen Art.
    »Ich kenne Bjarne«, sagte er, besonnen. »Seit vielen, vielen Jahren. Bjarne ist … exzentrisch. Egozentrisch. Ehrgeizig. Ein bisschen verrückt, meinetwegen. Aber er ist kein Fantast. Er träumt von diesem Programm, sicher, aber er hat es noch nicht.«
    »Bei allem Respekt, Professor, wenn Sie gesehen hätten, was ich …«
    »Bei allem gegenseitigen Respekt, Mavie, ich glaube Ihnen aufs Wort. Ich verstehe Ihre Aufregung, aber lassen Sie den Gedanken zu, dass Sie sich irren.«
    Sie schwieg. Ein halbes Dutzend Stimmen erwachte in ihrem Kopf wieder zum Leben und protestierte lautstark.
    »Mavie«, sagte Eisele. »Ich rede mit Bjarne.«
    »Er weiß nicht, dass ich die Prognose gesehen habe.«
    »Das wird er von mir auch nicht erfahren. Er wird sich nicht einmal wundern, wenn ich ihn auf seine Fortschritte anspreche, denn das tue ich regelmäßig. Seien Sie versichert, dass ich aus ihm herausbringe, was es mit dieser Prognose auf sich hat.«
    Sie schwieg.
    »Mavie?«
    »Ja«, sagte sie leise, konnte den Trotz nicht unterdrücken und kam sich vor wie ein dummes Kind.
    »Ich telefoniere mit ihm. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich das gleich noch schaffe, und der morgige Tag ist randvoll mit Terminen, aber ich telefoniere mit ihm. Und danach sprechen wir miteinander und entscheiden, wie wir weiter vorgehen. Sollte Bjarne tatsächlich am Ziel sein, wird er mir erklären müssen, weshalb er sein Wissen für sich behalten hat – sollte er hingegen, was ich annehme, nur Sandkastensimulationen in diesesSystem eingepflegt haben, sollten Sie es für sich behalten, dass Sie seine Sandkastenspiele bereits kennen.«
    Die Proteste in ihrem Kopf wurden leiser. Was, wenn er recht hatte?
    Eisele lachte, leise und freundlich. Sie sah ihn förmlich den Kopf schütteln, so wie er es oft getan hatte, wenn sie in seinen Seminaren allzu langsam denkende Kommilitonen angefahren hatte. Sie sah ihn vor sich. Seinen Blick. Seine großartigen Augen. Grün und blau, wie das Meer an einer Stelle, an der sogar sie ihre Abneigung gegen alles Wasser vergessen hätte und sofort tauchen gegangen wäre.
    »Ich schätze Sie«, sagte er. »Sie sind schnell. Ihre Auffassungsgabe ist beeindruckend, Sie haben mich oft verblüfft. Aber auch wenn Sie die Erfahrung noch nicht gemacht haben: Sie sind vor Irrtümern nicht gefeit.«
    Ihr blieb kaum etwas anderes übrig, als das einzuräumen, also tat sie es. Und er lachte wieder freundlich, versprach ihr, sie umgehend nach seinem Telefonat mit Gerrittsen anzurufen. Um ihr zum Abschluss des Gesprächs ein Versprechen abzunehmen.
    »Keine Gespräche in der Kantine, nicht darüber.«
    »Natürlich nicht.«
    »Ich melde mich.«
    Nachdem er aufgelegt hatte, saß sie da, auf der Bettkante, starrte den iAm eine ganze Weile an und versuchte, Eisele dankbar zu sein. Denn er meinte es ja gut. Vermutete sie. Hatte es immer gut gemeint. Ein Förderer und väterlicher Freund. Der sie nie angebaggert hatte. Obwohl sie ihm signalisiert hatte, er solle es tun. Ein guter Mensch. Ein kluger Mann. Ihr Gönner.
    Je länger sie da saß, desto kleiner und blöder kam sie sich vor. Und desto wütender wurde sie.
    Gönnerhaft.
    Hatte er das nicht immer so gemacht, schon damals, wenn sie mit einer Lösung vorgeprescht war? Hatte er sie nicht immer lächelnd gebeten, sich zurückzuhalten, um dann, fünf oder zwanzig Seminarstunden später, exakt die gleiche Antwort zu geben wie sie? Allerdings, natürlich, nach der Herleitung, nach hundert Erörterungen, nach viel Abwägen, Thesen bilden, Antithesen, Synthesen. Alles, damit auch die Begiffsstutzigen

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