Prophezeiung
Kühlschränke gegen die Klimakatastrophe, Atomwaffen gegen den bösen Nachbarn. Die finsteren Herren, an die du denkst, blasen Bedrohungen auf. Oder erfinden sie einfach. Sie erfinden Al Qaida. Sie erfinden die Schweinegrippe, angereichertes Uran im Irak oder im Iran, die menschgemachte globale Erwärmung.«
Er ließ eine Pause entstehen. Sie ließ sie verstreichen.
»Welches Marketinggenie«, fuhr er fort, »hätte ein Interesse daran zu verschweigen, dass es auf der Nordhalbkugel wochen- oder gar monatelang regnen wird? Würden die Hersteller von Schlauchbooten, Konservendosen und Generatoren das für sich behalten? Die Immobilienhändler? Die Veranstalter von sündhaft teuren Fernreisen? Dass die Endzeit vor der Tür steht, mit deren Vorhersage ich mich seit Jahren zum Narren mache? Im Gegenteil – sie würden das Problem aufblasen …«
»Das müssen sie nicht, es ist eindeutig schon zu groß.«
Edward seufzte. »Ach, Mädchen.«
»Und nenn mich nicht Mädchen. Wie soll ich dich nennen, Opa?«
Edward sah seine Tochter irritiert an. Sie atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Er war keine Hilfe. Ganz und gar nicht. Sie hatte ja selbst keine Erklärung für Gerrittsens Verhalten, aber es musste eine geben. Und die lautete bestimmt nicht, dass sie sich alles nur einredete.
»Du hast recht«, sagte Edward entschuldigend. »›Mädchen‹ ist unangemessen. Es war aber nicht so gemeint.«
»Ich weiß.«
»Ich möchte dir ja recht geben, Mavie. Diese Prognose ist … merkwürdig. Aber wieso sollte Gerrittsen …?« Er verstummte und schüttelte wieder bedauernd den Kopf. »Er ist doch Wissenschaftler. Und es ist sein Programm, seine Schöpfung. Wenn seine Kreation so epochal ist, wie du sagst, wenn er seiner Zeit tatsächlich zwanzig Jahre voraus ist und etwas geschaffen hat, was die gesamte Klima- und Wettervorhersage revolutioniert, indem es dutzendweise Faktoren berücksichtigt, die bislang nicht zu berücksichtigen waren – weshalb sollte er damit hinter dem Berg halten? Deiner Schilderung nach zeichnet sich dieser Professor Gerrittsen nicht durch Bescheidenheit aus, eher durch das Gegenteil, und so ein Mann würde doch nicht zögern, seinen Platz in der Geschichte zu reklamieren. Sowie den Nobelpreis.«
Mavie atmete laut und deutlich aus.
Und nahm noch ein Stück Käse.
Edward schenkte den verbliebenen Barolo aus der Flasche in die Gläser, Mavie hob dankend die Hand. Das Zeug war ihr längst als leichter Glimmer zu Kopf gestiegen, und sie merkte, wie unendlich erschöpft sie war. Dass sie noch am Morgen des Tages 4000 Kilometer südlich dieses zerschrammten Esstisches gefeuert worden war, kam ihr vollkommen unwirklich vor. Als wäre sie noch nicht angekommen. Als hinge ein Teil von ihr noch in der Luft, irgendwo über dem Atlantik.
»Danke, dass ich hier sein darf«, sagte sie.
»Du bist hier zu Hause«, sagte Edward und schenkte ihr ein Lächeln. »Du bist hier immer zu Hause.«
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13 Sie erwachte im Dunklen. In einem Raum, den sie zunächst für Sekunden nicht erkannte und dann, nachdem sie ihn als ihr ehemaliges Jugendzimmer identifiziert hatte, als sicheren Ort empfand, an dem nichts Unbekanntes und potenziell Bedrohliches ihre Aufmerksamkeit verlangte. Einen Ort, an dem sie sich auf andere Fragen konzentrieren konnte, kompliziertere. Fragen wie die, die sie aus dem Schlaf mitgebracht hatte. Denn während ihr Körper geruht hatte, war ihr Gehirn offenbar keineswegs untätig geblieben.
Milankovic + x + Heinrich + y + Bond + SRH x G z = ?
Das genügte zwar noch nicht, um sie mit einem »Heureka!« aus dem Bett zu treiben, aber der Gedanke sah logisch aus. Nach der richtigen Spur im Chaos.
Milankovic hatte sich geirrt. Die Strahlungskurven, die der serbische Exzentriker in den Dreißigerjahren entwickelt hatte und mit denen sich die Schwankungen der jährlichen Sonneneinstrahlung für jeden Breitengrad berechnen ließen, taugten trotz scheinbarer Korrelationen nicht als alleinige Erklärung für das Auftreten von Warm- und Eiszeiten. Immerhin stand aber noch als These im Raum, dass die zyklischen Veränderungen der Präzession, der Neigungsachse der Erde, eine gewichtige Rolle beim Klimageschehen spielten, und unbestritten war, dass die Unterschiede im Strahlungshaushalt der Erde das Klima der Vergangenheit maßgeblich beeinflusst hatten. Was allerdings weder Milankovics Zyklen noch die der in Sedimenten operierenden Spurensucher erklärten, war der von Prometheus prognostizierte
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