Prost Mathilda - von Wolke sieben ab in den Vollrausch
großes Glück, denn das ist hier in Niedersachsen die einzige Therapiestation für drogenabhängige Kinder und Jugendliche. Doch dann habe ich mittendrin einfach abgebrochen. Warum weiß ich heute nicht mehr. Plötzlich hat mich alles angekotzt und die haben mich tierisch genervt. Die ersten Wochen in der Therapie waren echt schlimm. Ich habe meine Freunde und meine Familie vermisst und dann schließlich geglaubt, ich könnte es auch alleine schaffen.“
„Und nun bist du wieder zurückgekommen. Warum?“, wollte Mathilda wissen.
„Weil die da drinnen mir Kraft geben. Und an mich glauben. Das habe ich erst richtig begriffen in der Zeit, in der ich wieder draußen war. Der Rückschritt in meine alte Zeit – in die Realität hat mir gut getan, damit ich sehen konnte, wo ich eigentlich stehe. Und das war noch verdammt weit unten. Die Leute bei
Teen Spirit Island
regeln meinen Tagesablauf, damit ich erst gar nicht auf falsche Gedanken kommen kann. Sie nehmen mich ernst. Und sie zeigen mir, dass es sich zu leben lohnt – ohne Alkohol oder andere Drogen.“ Lara sah jetzt richtig hoffnungsvoll aus. Doch dann verzog sie ihren Mund zu einer gequälten Grimasse und fügte hinzu: „Nur dass die mir die Zigaretten abnehmen, das nehme ich denen echt übel.“ Sie grinste breit und zwinkerte Mathilda zu. „Deswegen muss ich jetzt schon mal ordentlich auf Vorrat rauchen.“ Ihr Ton klang nun richtig heiter und irgendwie gelöst.
„Warum hast du mir das alles erzählt?“, fragte Mathilda, während sie nun nicht länger ihre Tränen unterdrücken konnte.
Lara wirkte einen Moment so, als hätte sie Mathildas Frage nicht gehört. Sie hockte gedankenversunken auf dem großen Stein und wippte ein bisschen vor und zurück, wie zur Beruhigung.
Mathilda musterte ihren Körper. Das gelbe Shirt, das unter den kurzen Ärmeln Laras dünne Arme zum Vorschein kommen ließ. Die Haut wirkte blass und durchsichtig, wie Pergamentpapier. Laras Körper war von der jahrelangen Sucht regelrecht ausgemergelt. Nein, so will ich nicht werden, dachte Mathilda.
Schließlich hob Lara den Kopf und schaute Mathilda direkt in die Augen.
„Ich habe dich hier sitzen gesehen und plötzlich mich selbst gesehen. Vor drei Jahren. Als ich das erste Mal hier
auf der Bult
gelandet war. Ich dachte: Der geht es jetzt so, wie es mir damals ging. Und so blöd das jetzt klingen mag, da hab ich beschlossen, ich muss ihr unbedingt
meine Geschichte
erzählen. Ich muss es ihr erzählen, damit ihr diese Geschichte – dieser Weg erspart bleibt.“
Sie stand auf und bückte sich nach ihrer Reisetasche. Dann streckte sie Mathilda ihre Hand entgegen und sagte leise: „Wünsch mir Glück. Und lass die Finger vom Alkohol. Das ist keine Lösung. Das macht alles nur noch schlimmer. Du hast jetzt eine zweite Chance. Genauso wie mir die Leute von
Teen Spirit Island
eine zweite Chance gegeben haben. Verspiel sie nicht.“
Dann überquerte sie mit aufrechtem Rücken und schwingendem Schritt die Straße, ging zum Tor und streckte ihren Finger nach dem Klingelknopf aus. Kurze Zeit später erschien eine junge Frau auf der anderen Seite des Tores. Mathilda konnte noch sehen, wie die beiden sich freundlich begrüßten, eh sie zusammen hinter dem Tor verschwanden.
Teen Spirit Island Hannover
Teen Spirit Island ist eine Station mit 12 Therapieplätzen der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie im Kinderkrankenhaus auf der Bult. Hier werden Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren mit Drogenabhängigkeit von Cannabis, Heroin, Amphetaminen, Tranquilizer, Kokain, Alkohol und anderen Suchtstoffen bzw. deren Kombinationen und mit Internet- und Computersucht stationär behandelt. Daneben bestehen in der Regel jugendpsychiatrische Erkrankungen wie Störungen der Persönlichkeitsentwicklung, emotionale Störungen, Essstörungen oder Psychosen. Eigenmotivation ist die Basis der Behandlung. Diese schließt den körperlichen Entzug ein und ermöglicht eine psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung bis zu zwölf Monaten. Eine ambulante psychiatrische Nachsorge kann sich bei entsprechender Indikation anschließen
.
Alles wird gut?
Neben Mathilda hupte ein Auto. Sie fuhr erschrocken herum. Wischte sich mit dem Handrücken schnell die Tränen aus den Augen und glaubte im ersten Moment, ihren Augen nicht trauen zu können. Ihr Dad saß hinter dem Steuer. Vom Beifahrersitz lächelte ihr Conni unsicher entgegen.
Mathilda ging langsam um das Auto herum, öffnete die
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