P.S. Ich liebe Dich
lebte noch immer durch ihn. Das sah sie jetzt ganz klar. Dadurch fühlte sie sich sicher, aber jetzt war sie auf sich selbst gestellt und musste tapfer sein.
Sie nahm den Telefonhörer ab und stellte das Handy aus. Sie wollte nicht gestört werden, denn sie musste diesen besonderen letzten Moment auskosten. Sie musste sich noch einmal von Gerry verabschieden. Dann war sie allein und musste für sich selbst denken.
Langsam riss sie den Umschlag auf, sorgfältig darauf achtend, dass nichts kaputtging, und holte die Karte heraus.
Hab keine Angst davor, Dich wieder zu verlieben. Öffne
Dein Herz und folge ihm, wo auch immer es Dich hinführt …
Du weißt doch: Greif nach den Sternen …
P.S. Ich werde Dich immer lieben.
»O Gerry«, schluchzte sie. Der Schmerz war so groß, dass ihre Schultern zuckten und ihr Körper sich aufbäumte.
In dieser Nacht schlief sie sehr wenig, und wenn sie doch eine Weile wegdämmerte, dann verschmolzen im Traum Daniels und Gerrys Gesicht und Körper ineinander. Um sechs Uhr wachte sie schweißgebadet auf und beschloss, aufzustehen und einen Spaziergang zu machen, um den Kopf frei zu bekommen. Ihre Beine waren schwer, als sie den Weg zum Park entlangging. Gegen die beißende Kälte hatte sie sich warm eingepackt, trotzdem fror sie an den Ohren und im Gesicht. Andererseits fühlte sich ihr Kopf seltsam heiß an, heiß von den Tränen, heiß von den Kopfschmerzen, heiß, weil ihr Gehirn ständig auf Hochtouren lief.
Die Bäume am Wegrand waren kahl und sahen aus wie Skelette. Blätter wirbelten ihr um die Füße wie böse kleine Gnome, die sie zum Stolpern bringen wollten. Der Park war menschenleer, fast so, als hätten sich die Menschen zum Winterschlaf zurückgezogen, als wären sie zu feige, um dem Winterwetter zu trotzen. Holly war weder tapfer noch genoss sie ihren Spaziergang. Für sie war es eher eine Art Strafe, hier in der Eiseskälte zu sein.
Wie in aller Welt war sie nur in diese Situation geraten? Gerade als sie das Gefühl hatte, endlich die Scherben ihres zerschlagenen Lebens aufsammeln zu können, entglitt ihr alles wieder. Sie hatte geglaubt, einen Freund gefunden zu haben, jemanden, dem sie ihr Herz ausschütten konnte, sie wollte sich nicht in eine alberne Dreiecksbeziehung verwickeln lassen. Albern vor allem deshalb, weil der Dritte nicht einmal da war. Natürlich dachte Holly viel an Daniel, aber sie dachte doch auch ständig an Sharon und Denise, und in die war sie nun ganz bestimmt nicht verliebt. Aber was sie für Daniel empfand, war nicht die Liebe, die sie für Gerry fühlte, sondern etwas anderes. Vielleicht war sie einfach nicht in ihn verliebt. Und wenn sie es wäre, hätte sie es doch sicher gemerkt, ohne tagelang darüber nachdenken zu müssen. Aber warum dachte sie dann überhaupt darüber nach? Wenn sie ihn nicht liebte, dann sollte sie es ihm direkt sagen … aber stattdessen grübelte sie darüber nach … Es war doch eine ganz einfache Frage. Ja oder nein.
Und jetzt sagte Gerry ihr auch noch, sich einer neuen Liebe zu öffnen. Was hatte er gedacht, als er diesen Brief geschrieben hatte? Hatte er sich innerlich schon so weit von ihr getrennt, ehe er gestorben war? War es so leicht für ihn gewesen, sie aufzugeben und sich mit der Tatsache abzufinden, dass sie einen anderen finden würde? Sie würde die Antwort nie erfahren.
Noch eine ganze Weile zermarterte sie sich weiter den Kopf mit Fragen, während die Kälte ihr immer mehr zusetzte, und schließlich machte sie sich auf den Rückweg. Als sie ihre Straße hinunterwanderte, hörte sie plötzlich Gelächter und blickte auf. Ihre Nachbarn schmückten den Baum in ihrem Garten mit winzigen Weihnachtslichtern.
»Hallo, Holly«, rief ihre Nachbarin lachend und kam hinter dem Baum hervor, die Lichterkette um die Handgelenke gewickelt.
»Ich schmücke Jessica«, lachte ihr Mann und schlang den Rest der Kette um ihre Beine. »Ich glaube, sie würde einen wundervollen Gartenzwerg abgeben.«
Mit einem traurigen Lächeln sah Holly ihnen zu. »Es ist ja bald Weihnachten«, dachte sie laut.
»Ich weiß!« Jessica stellte das Lachen lange genug ein, um zu antworten: »Das Jahr ist wie im Flug vergangen, nicht wahr?«
»Ja, viel zu schnell«, stimmte Holly ihr zu. »Viel zu schnell.«
Sie überquerte die Straße und ging weiter zu ihrem Haus. Ein Aufschrei ließ sie noch einmal herumfahren, und sie sah, wie Jessica das Gleichgewicht verlor, und in einem Kuddelmuddel von Lichtern ins Gras plumpste. Das
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