Psalms of Isaak 01. Sündenfall
Verbrechen?«
Das Schluchzen wurde lauter. Ein leises Winseln wuchs zu einem Heulen an, das von solchem Elend, von solcher Verzweiflung erfüllt war, dass die Luft davon schwer wurde.
»Willst du«, fragte Rudolfo noch einmal mit noch leiserer Stimme, »für dein schreckliches Verbrechen Gnade?«
»Ich habe nicht gewusst, dass es funktionieren würde, Herr. Das schwöre ich Euch. Und keiner von uns hat geglaubt, dass es, wenn es denn funktionieren würde, so … so vollkommen, so …«
Rudolfo hob eine Hand und ebenso die Augenbrauen. Der Mann hielt inne. »Wie hättest du es auch wissen können? Wie hätte es irgendjemand wissen können? Xhum Y’Zir ist seit mehr als zweitausend Jahren tot. Und sein sogenanntes Zeitalter des Lachenden Wahnsinns ist längst vorüber.« Rudolfo suchte sich sorgfältig ein weiteres mit Honig gesüßtes Küchlein aus und knabberte an den Ecken. »Also bleibt meine Frage: Wünschst du dir Gnade?«
Der Mann nickte.
»Nun gut. Du hast eine Gelegenheit, und nur eine. Von deinem Herrn kann ich dasselbe nicht behaupten.« Rudolfo warf einen Blick auf den Metallmann. Seine Augen funkelten und eine unscheinbare Fahne aus Dampf stieg aus seinen Mundwinkeln auf. »In wenigen Augenblicken werde ich dich mit meinen besten Zigeunerspähern und meinem metallenen Freund Isaak allein lassen. Ich will, dass du ihm ganz langsam, ganz klar und in großer Deutlichkeit alles erklärst, was du über das Herstellen von Registern sowie die Instandhaltung und Reparatur von androfranzinischen Mechoservitoren weißt.« Rudolfo erhob sich. »Du hast nur eine Gelegenheit und du hast nur ein paar Stunden. Wenn du mich nicht zufriedenstellst, wirst du den Rest deiner Lebenszeit in Ketten im Foltertrakt verbringen, damit die ganze Welt dich sehen kann, während meine Anatome der Bußfertigen Folter mit gesalzenen Messern deine Haut abschälen und warten, bis sie wieder nachwächst.« Er stürzte den übrigen Wein hinunter. »Du wirst den Rest deiner Tage in Urin und Fäkalien und Blut verbringen, die Schreie kleiner Kinder in den Ohren, während der Völkermord an einer ganzen Stadt auf deiner Seele lastet.«
Nun übergab sich der Mann, würgte übelriechende Galle auf sein Hemd.
Rudolfo lächelte. »Ich bin außerordentlich froh, dass du mich verstehst.« Er hielt an der Zeltklappe inne. »Isaak, höre dem Mann aufmerksam zu.«
Draußen winkte er Gregoric heran. »Bring mir einen Vogel.«
Er schrieb die Botschaft selbst. Es war eine einfache Frage, die aus einem Wort bestand. Nachdem er sie geschrieben hatte, band er sie mit dem grünen Faden des Friedens an den Fuß des Vogels, aber es fühlte sich wie eine Lüge an. Er flüsterte dem Vogel sein Ziel zu und drückte kurz die Lippen auf den kleinen, weichen Kopf. Dann warf er ihn in den Himmel und der Himmel fing ihn auf, schickte ihn flatternd in den Süden zum Lager der Entrolusier.
Flüsternd sprach Rudolfo die Frage aus, die er geschrieben hatte. Sie klang hohl, aber er flüsterte sie noch einmal. »Warum?«
Neb
Neb merkte nicht, dass er eingeschlafen war, bis er eine Hand spürte, die ihn wachrüttelte. Er öffnete die Augen und zuckte erschrocken zusammen. Die rothaarige Frau kniete neben ihm. Sie trug einen dunklen Umhang, aber die Kapuze war zurückgeschlagen und ihr Haar war hochgesteckt.
Sie presste einen Finger auf ihre Lippen. Als er nickte, sprach sie ganz leise. »Es wird Krieg geben. Hier ist es nicht sicher. Verstehst du?«
Er nickte.
»Sethbert hat Windwir vernichtet und ist ganz trunken von seinem Werk. Er hält dich am Leben, damit deine Geschichte ihm zur Unterhaltung dienen kann. Verstehst du?«
Neb schluckte. Er hatte es schon vermutet, und nun wusste er es. Er öffnete den Mund, überlegte noch einmal, ehe er zu sprechen anfing, und schloss ihn wieder. Er nickte abermals.
»Ich gehe jetzt. Ich will, dass du mit mir kommst.«
Er nickte und krabbelte von seiner Schlafmatte.
»Bleib in meiner Nähe«, sagte sie und zog einen Beutel unter ihrem Hemd hervor, der an einer Kordel um ihren Hals hing. Sie öffnete die Zugbänder und schüttete sich eine Handvoll Pulver auf die Handfläche. Sie rieb es sich auf die Stirn, die Schultern und die Füße, dann leckte sie den Rest des Pulvers vom Handballen.
Neb beobachtete, wie das Weiße in ihren Augen sichtbar wurde und sie dann direkt vor ihm zu einem Schatten verblasste. Einen Augenblick lang dachte er, sie würde vielleicht auch ihn magifizieren, und diese Aussicht entsetzte ihn.
Weitere Kostenlose Bücher