Psycho Logisch - Nuetzliche Erkenntnisse der Alltagspsychologie
haben wir auch eine Erklärung für den Ankereffekt: die Macht der Gewöhnung, die tatsächlich ebenso zuverlässig wie blitzschnell wirkt, wie wir bereits gesehen haben.
So sinnvoll uns ein Anker auf den ersten Blick bei der Bewältigung von Komplexität auch erscheint: Auf den zweiten Blick kommt es leider zu Verzerrungen in Richtung dieses Ankers – und damit zu komplett irrationalen und fehlerhaften Entscheidungen. Was ja wiederum nicht unbedingt hilfreich ist.
Nun könnten wir uns trösten, indem wir uns einreden, Ankereffekte beträfen besonders stark »Unwissende« oder Laien. Doch 1987 wiesen die Forscher Northcraft und Neal nach, wie mächtig diese Effekte sind, ja, dass sie selbst Experten ins Bockshorn jagen: Zwei Gruppen von Versuchspersonen, Studenten versus Immobilienexperten, schätzen Immobilienpreise. Die zugrundeliegenden Informationsbroschüren unterscheiden sich ausschließlich im Listenpreis. Dabei kommt heraus: Die Entscheidungen sowohl der Laien als auch der Experten sind stark von den Ankerzahlen geprägt.
Wenn wir diese Effekte also wider besseres Wissen nicht loswerden können – wie können wir sie wenigstens für uns nutzen?
Allgemein gesprochen: Die individuell empfundene Verlust- oder Gewinnsituation hängt in den meisten Fällen vom ersten Angebot ab. Die Zahl, die zuerst im Raum steht, beeinflusst den weiteren Prozess enorm.
Das bedeutet konkret für Sie: Sollten Sie zum Beispiel einmal vor Gericht die Freude haben, Schmerzensgeld zu fordern, dann bringen Sie möglichst früh eine möglichst hohe Summe ins Gespräch. Dieser Wert dient als Anker. Wer mehr fordert, bekommt oft mehr (kann allerdings auch auf höheren Prozesskosten sitzen bleiben, wenn er verliert …)!
Oder: Sie können in Gesprächen und Verhandlungen bessere Resultate erzielen, wenn Sie selbst die erste Hausnummer ins Spiel bringen. Und zwar eine, die übertrieben stark in Ihre Richtung tendiert. Einen Versuch wäre es doch glatt wert – bei der nächsten Gehaltsverhandlung …
Wir können einen Spezialfall der Ankereffekte, den Verfügbarkeitsfehler, sogar dazu nutzen, lästige Gewohnheiten abzustellen, gesünder zu leben, unser Selbstbewusstsein zu stärken – kurz: unser gesamtes Leben zu optimieren. Denn wenn wir schon so einfach gestrickt sind und so fehlerhaft funktionieren, dann können wir zumindest das Beste daraus machen … Wie das geht, erfahren Sie im nächsten Kapitel.
Critcher, C. R. & Gilovich, T. (2008): Incidental environmental anchors. Journal of Behavioral Decision Making, 21, 241–251
Kahneman, D. & Tversky, A. (1972): Subjective probability: a judgement of representativeness. Cognitive Psychology, 3, 430–454
Kahneman, D. & Tversky, A. (1973): On the psychology of prediction. Psychological Review, 80, 237–251
Northcraft, G. B. & Neale, M. A. (1987 ): Experts, amateurs, and real estate: An anchoring-and-adjustment perspective on property pricing decisions. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 39, 84–97
Warum Fliegen zwar selten tot macht, aber häufig Angst
Wie Sie mit dem Verfügbarkeitsfehler aus der Kognitionsforschung Ihr Selbstbewusstsein stärken
Beim Fliegen sterben verhältnismäßig wenige Menschen – in Deutschland zum Beispiel ist schon seit Jahren niemand mehr mit einem Linienflugzeug ums Leben gekommen. Während Sie diesen Abschnitt lesen, werden hingegen gut drei Menschen in Deutschland an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung sterben.
Das Herzinfarktrisiko steigt erheblich, wenn jemand zum Beispiel raucht. Warum haben trotzdem so viel mehr Menschen akute Angst davor, in ein Flugzeug zu steigen als sich eine Zigarette anzuzünden?
Dass Fliegen rein statistisch gesehen ziemlich sicher ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Das Flugzeug hat sich als »sicherstes Verkehrsmittel« seinen sprichwörtlichen Platz in den Köpfen der Menschen verschafft. Gleichzeitig wurde in den letzten Jahren kein Aufwand gescheut, um allen Menschen mitzuteilen, wie gesundheitsschädlich Rauchen ist. Das steht inzwischen sogar auf den Zigarettenpackungen – unter anderem mit dem Spruch »Rauchen kann tödlich sein«.
Die meisten von uns wissen das genau. Trotzdem ist in unseren Köpfen oft das Fliegen gefährlicher als das Rauchen.
Warum?
Hier werden wir Opfer eines sogenannten »Verfügbarkeitsfehlers«. Oft treffen wir Entscheidungen, ohne eine Statistik zu kennen. Oder wir kennen eine Statistik, wollen oder können sie aber nicht rational nutzen. Wir ersetzen
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