Psychologische Homöopathie
überein, die zu Beginn der Industrialisierung mit einer großen Zukunft rechneten, dabei aber immer noch die traditionellen Werte wie Ehrlichkeit, harte Arbeit und Loyalität gegenüber der Familie respektierten. Heute leben wir in einer weitaus zynischeren, materialistischeren Zeit, und die wenigen Sulfur-Visionäre, die an die Spitze des Staates aufsteigen, wie Winston Churchill und Jimmy Carter, werden meist sehr schnell von der Bürokratie kaltgestellt, die einer Gesellschaft dient, in der das finanzielle Wohlergehen wichtiger als alles andere ist. Eine Ausnahme ist Ronald Reagan, ein klassischer Sulfur-Typ,dem es mit seiner dramatischen Rhetorik gelungen ist, nach dem beschämenden Vietnamkrieg den Nationalstolz der Amerikaner wiederherzustellen. Daß er ohne Scham und aus tiefstem Herzen die traditionellen amerikanischen Werte wie Fleiß, Unternehmergeist und Unabhängigkeit wieder zu Leitbildern erklärte, hat ihm eine außerordentliche Popularität eingetragen, die es ihm ermöglichte, einen Skandal nach dem anderen zu überstehen, ohne daß etwas davon an ihm hängenblieb, was zu dem Spitznamen »the non-stick president« (der Präsident mit Antihaftbeschichtung) führte. Er hatte vielleicht seine Schwachstellen, wenn es um politische Details ging, aber das wurde in den Augen der Wähler durch sein Charisma und seine idealistische Vision aufgewogen.
Der inspirierte Sulfur-Verstand kann ebenso originell wie unerschöpflich sein (Kent: »Ideen im Überfluß, Klarheit des Geistes«). Weil sie offen für die übergreifenden Zusammenhänge einzelner Beobachtungen waren, haben viele große Sulfur-Denker umfassende gedankliche Systeme entwickelt und ihren jeweiligen Disziplinen zu einem besseren Verständnis verholfen. Ich bin sicher, daß beispielsweise die meisten großen europäischen Philosophen der letzten drei Jahrhunderte Sulfur-Menschen waren. Abstraktes Denken fällt Sulfur leicht (Kent: »philosophische Manie«), und sogar der Sulfur-Bauer oder -Arzt hat wahrscheinlich eine Vorliebe für Philosophie, die dann gewöhnlich hausgemacht ist. Ich habe einmal einen Koch behandelt, der entlassen worden war, weil er mehr Zeit damit zubrachte, mit anderen über den Sinn des Lebens zu reden, als zu kochen. Er nahm sein Mißgeschick sehr philosophisch und erklärte mir, seine Kollegen seien nicht daran schuld, daß sie unfähig seien, die tiefere Bedeutung des Lebens zu erkennen. Während der Fallaufnahme wirkte er angeregt und fand besonderen Gefallen daran, mir seine Einsichten über die menschliche Natur, Spiritualität und dergleichen mehr mitzuteilen. Ich konnte zwar mühelos nachvollziehen, warum er entlassen worden war, aber ich genoß es in vollen Zügen, an seiner Begeisterung teilzuhaben. Seine geringfügigen körperlichen Beschwerden waren nach einigen Dosen Sulfur vollkommen beseitigt, aber ich behandelte ihn nicht lange genug, um herauszufinden, ob das Mittel ihm auch geholfen hat, einen Arbeitsplatz längerfristig zu behalten.
Die Faszination des Sulfur-Intellektuellen für ein bestimmtes Thema führt dazu, daß er sich immer intensiver damit beschäftigt, und im Laufe der Zeit entdeckt und sammelt er dabei wahrscheinlich einen Berg von Informationen, deren überwiegender Teil nur ihm bekannt ist. Ein gutes Beispiel dafür ist der Pionier der Psychiatrie, C. G. Jung, der eine völlig neue Schule der analytisehenPsychologie entwickelte. Jungs Einsichten in das menschliche Unterbewußtsein waren ebenso revolutionär und nützlich wie die seines ursprünglichen Mentors Sigmund Freud, aber sie waren wesentlich abstrakter und spiritueller als die Erkenntnisse Freuds. Freud könnte gut ein Arsenicum gewesen sein, wenn man bedenkt, wie leidenschaftslos er das Bewußtsein seiner Patienten analysierte und dabei zu einer sehr starren und begrenzten Sichtweise der Menschheit kam, bei der sich das menschliche Bewußtsein nicht wesentlich von dem eines Tieres unterscheidet, das von der Gesellschaft gezwungen worden ist, seine ursprünglicheren Instinkte zu unterdrücken und in ein sozialeres Verhalten umzuwandeln. Im Gegensatz dazu sah der mehr spirituell orientierte Jung den Menschen als Erben eines göttlichen Kerns, den er das »kollektive Unbewußte« nannte, welches sowohl tierische Instinkte als auch weitaus subtilere Triebe zur »Ganzheit« enthält.
Jung hatte einen phantastischen Intellekt, und in echter Sulfur-Manier war er nicht nur in der Welt der objektiven Wissenschaft zu Hause, sondern auch in
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