Psychologische Homöopathie
Hirngespinsten nachzujagen, beschloß ich, sie zunächst konstitutionell zu behandeln. Es gab nur wenige Leitsymptome, aber sie hatte die für Syphilinum typische geisterhafte Blässe und den ausgezehrten Körper. Außerdem hatte sie offenbar die Wahnidee, verseucht zu sein, und so gab ich ihr Syphilinum 10M. Nach einigen Wochen berichtete sie, ihre körperlichen Symptome seien etwas geringer geworden, aber was noch wichtiger war, sie beherrschten ihr Leben nicht mehr, weil sie weniger darauf achtete. Allmählich war sie bereit, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß ihre Symptome prinzipiell einen psychischen Ursprung haben könnten, und sie gab mir eine interessante Zusatzinformation. Kurz bevor sie mit der Chemikalie in Berührung gekommen war, war sie vergewaltigt worden. Ich hatte den Eindruck, daß diese Vergewaltigung die konstitutionell in ihr angelegte Neigung, sich verseucht zu fühlen, aktualisiert hatte. Seitdem hatte sie wiederholt gedacht, sie hätte beim Einkaufen das Gesicht des Vergewaltigers in der Menge gesehen, obwohl der Vorfall sich mehrere hundert Meilen entfernt abgespielt hatte. Nach der Einnahme von Syphilinum verschwanden diese störenden Phänomene.
Eine andere verbreitete Besessenheit von Syphilinum ist die Neigung, Dinge zu sammeln und sie dann in einer bestimmten Ordnung aufzustellen. Das ist aber nicht so spezifisch, weil man es bei jedem der syphilitischen Typen finden kann. Ein Beispiel ist die Patientin, die Vasen sammelte, sie dann in Papier wickelte und sehr ordentlich in ihren Schränken aufbewahrte. Diese Eigenart kann sich auch einfach in der Tendenz manifestieren, Blechdosen in der Vorratskammer in Reih und Glied aufzustellen oder Briefmarken zu sammeln und peinlich genau zu ordnen. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um einen psychologischen Abwehrmechanismus, der einem Geist, der sich unbewußt (oder bewußt) vor Desintegration fürchtet, das Gefühl von Stabilität vermitteln soll.
Selbstzerstörung und Verzweiflung
Das syphilitische Miasma ist destruktiv. Auf der körperlichen Ebene manifestiert es sich in Form von Geschwüren, Schwäche und angeborenen Mißbildungen. Auf der psychischen Ebene kann es verschiedene Arten von Geistesstörungen hervorrufen. Eine der charakteristischen Eigenschaften von Syphilinumist der Hang zu einem selbstzerstörerischen Verhalten. Der Syphilinum-Typ ist passiver als Hyoscyamus und Stramonium, und er ist im allgemeinen psychisch »normaler«. Während letztere ein offen selbstzerstörerisches Verhalten wie Selbstverstümmelung zeigen können, tendiert Syphilinum häufiger zu einer Art Stoizismus und zur Vernachlässigung. Eine Patientin berichtete beispielsweise, wenn sie einen Stein im Schuh habe, gehe sie einfach weiter und entferne ihn erst, wenn der Fuß blute, obwohl sie auch vorher schon beträchtliche Schmerzen habe. Es war nicht so, daß sie die Schmerzen genossen hätte, aber sie nahm sie einfach nicht wichtig.
Eine andere Frau, die offensichtlich psychisch normal war, sich aber als Kind vom Tod fasziniert gefühlt hatte, erzählte, sie habe als Anfängerin beim Bergsteigen einen Unfall gehabt, bei dem ihr ein großer Felsbrocken auf den Kopf gefallen sei, was zu einer Gehirnerschütterung geführt habe. Ihre Gruppe war der Meinung, sie solle nicht weiterklettern, sondern lieber umkehren, aber sie weigerte sich, obwohl sie erhebliche Kopfschmerzen hatte. Eine Syphilinum-Frau hielt jahrelang an einer Beziehung fest, in der ihr Partner ihr verbot, das Haus zu verlassen. Er hatte ihr befohlen, dort zu bleiben und auf ihn zu warten, und genau das tat sie. Sie gab seinetwegen sogar eine vielversprechende Karriere als Künstlerin auf. Als ich sie nach dem Grund fragte, konnte sie nur sagen, sie habe ihn geliebt. Dieselbe Frau neigte dazu, sich zu betrinken, wenn sie unglücklich war, und dann nach sehr lauter Musik zu tanzen, nachdem sie vorher ihr Gesicht grell geschminkt hatte. Ihr neuer Partner war bei der Konsultation anwesend und berichtete, seine Freundin sei dann wie wahnsinnig, und sie werde gewalttätig, wenn er versuche, sie zu beruhigen.
Keiner meiner Syphilinum-Patienten war Alkoholiker, aber viele betranken sich anscheinend, wenn sie deprimiert waren, und viele hatten eine Familiengeschichte, in der es entweder Fälle von Alkoholismus oder Selbstmord gab (was von vielen anderen Homöopathen bestätigt wird). Einige Syphilinum-Menschen haben Depressionen, die sehr stark und charakteristisch sind. Sie sprechen von
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