Psychologische Homöopathie
von Hinweisen auf die merkwürdigen Wahrnehmungen, für die Thuja anfällig ist, besonders die Wahnidee, ihre Beine seien aus Glas, oder in ihrem Bauch sei ein Fötus. Jahrelang habe ich diese Hinweise nicht besonders ernst genommen, weil ich sie bei meinen Thuja-Patienten nie bestätigt gefunden hatte, aber als ich Thuja-Patienten in der Psychotherapie hatte, begegneten mir diese seltsamen Wahrnehmungen. Besonders als eine Patientin begann, Zugang zu den belastenden Gefühlen zu finden, die sie unterdrückt hatte, spürte sie als erstes merkwürdige körperliche Empfindungen. Sie waren sehr vielfältig, aber am häufigsten spürte sie Bewegungen in ihrem Bauch, manchmal so, als sei ein Whirlpool darin, und manchmal kam es ihr vor wie ein Klumpen, der sich bewegte. Dann wieder hatte sie eine Vision, daß ihr Becken mit Blut gefüllt sei oder daß irgend etwas in ihr verfaule. Solche Erfahrungen wären für viele Thuja-Menschen sicher alarmierend,aber im Rahmen der Psychotherapie konnten wir ihre Symbolik deuten, und dadurch waren sie weit weniger bedrohlich.
Meine Thuja-Patienten waren psychisch mit Sicherheit wesentlich labiler als meine anderen Psychotherapiepatienten. Manchmal »flippten sie aus« und gerieten in einen verträumten, fast komatösen Zustand, wenn sie nicht in der Lage waren, den aufsteigenden Emotionen ins Gesicht zu sehen (Kent: »Benornmenheit«). Dann wieder gerieten sie in Wut, und ihr Zorn war drarnatischer, als ich es bei Natrium-Patienten erlebt habe. Wie Lachesis kann man sich auch Thuja ungefähr wie eine gespannte Saite oder wie einen Vulkan kurz vor dem Ausbruch vorstellen, aber während Lachesis infolge der unterdrückten Spannung entweder nervös wird oder einen Wutanfall bekommt, neigt Thuja mehr zu selbstzerstörerischem Verhalten.
Ich habe einmal eine Videodokumentation über einen Thuja-Patienten gesehen, der unter Aids litt. Im ersten Teil berichtete er, er habe manchmal in einer Nacht mit bis zu 20 Männern Sex gehabt. Er sagte das seltsam emotionslos, als sei ein solches Verhalten absolut üblich, und wahrscheinlich war es das in seinen Kreisen auch. Der zweite Teil, der, einige Monate nachdem er Thuja 10M eingenommen hatte, aufgezeichnet worden war, zeigte einen völlig anderen Menschen. Er hatte nicht mehr den harten, teilnahmslosen Ausdruck und sprach mehr aus dem Herzen über seine Trauer, seine Reue und die Schuldgefühle, die er in bezug auf seine früheren sexuellen Aktivitäten empfand. Seine Aidssymptome hatten sich in der Zwischenzeit offenbar deutlich gebessert. Das Mittel hatte anscheinend nicht nur seine körperliche Gesundheit stabilisiert, sondern ihn auch offener gemacht und ihm einen besseren Zugang zu seinen Gefühlen vermittelt. Nur indem er sich selbst ins Gesicht sieht, kann Thuja lernen, sich zu akzeptieren und dadurch sein selbstzerstörerisches Verhalten aufzugeben.
Ärger und Sexualität
Thuja ist im allgemeinen ein sehr sexbezogener Mensch. Das kann man bei einem Mittel erwarten, das zu den wichtigsten homöopathischen Arzneien für eine Vielzahl von Geschlechtskrankheiten gehört. Medorrhinum ist ein nahe verwandtes Mittel, das viele Ähnlichkeiten sowohl bei den körperlichen Symptomen als auch hinsichtlich der Persönlichkeit aufweist. Beide haben einen starken Sexualtrieb, aber es kommt mir so vor, als könne Medorrhinum seine Libido im allgemeinen besser in eine normale und befriedigende Beziehung integrieren, weil seine Persönlichkeit insgesamt meist besser integriertist. Im Gegensatz dazu ist Thuja oft so sehr damit beschäftigt, seine Schuldgefühle zu unterdrücken (besonders seine sexuellen Schuldgefühle), daß es ihm schwerfällt, mit irgend jemandem einen intimen Kontakt aufzubauen, so daß er Sexualität stärker von emotionaler Intimität trennt. Bei Thuja-Frauen sind die sexuellen Schuldgefühle oft so stark, daß sie Sexualität kaum genießen können, obwohl sie ein starkes sexuelles Verlangen haben, was sie oft zur Masturbation veranlaßt, wodurch ihre Schuldgefühle dann noch weiter verschlimmert werden.
Ich habe vorher schon einmal darauf hingewiesen, daß eine starke Libido meist Hand in Hand mit einem höheren Wutpotential geht, und ich glaube, Thuja bildet dabei keine Ausnahme. Thuja-Frauen sind oft zu furchtsam, um ihre Wut in der Öffentlichkeit zu zeigen, aber sie geben häufig an, daß sie zu Hause immer wieder die Beherrschung verlieren, vor allem im Umgang mit den Kindern. Wie bei Sepia- und Medorrhinum-Frauen kann
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