Psychologische Homöopathie

geistige Symptome. Je gesünder sie geistig waren, desto größere Angst hatten sie, wahnsinnig zu werden.
Schamlosigkeit
    Sexuelle Zwänge sind ein Schlüsselsymptom von Hyoscyamus, sowohl bei den psychotischen als auch bei den präpsychotischen Patienten. Die Patientin wird es genießen, ohne jede Hemmung über ihr Sexualleben zu sprechen (dieMehrheit der Hyoscyarnus-Patienten, die ich kennengelernt habe, waren Frauen). Oft brüsten sie sich damit, wieviel Freude sie an der Sexualität haben, und beschreiben genüßlich eine lange Liste sexueller Begegnungen, oder sie klagen darüber, daß ebendiese in ihrem Leben fehlen. Es stimuliert die Patientin, über Sex zu reden, und deshalb wird sie immer wieder auf das Thema zurückkommen, vor allem wenn sie merkt, daß ihr Therapeut darüber nicht schockiert ist. Hyoscyamus-Patienten haben sehr starke sexuelle Gefühle (Kent: »lasziv«, »Wahnsinn – erotischer«), gegen die sie ankämpfen, wenn sie geistig relativ gesund sind. Möglicherweise versuchen sie ihre sexuelle Spannung durch tägliche Masturbation abzubauen. Die Hyoscyamus-Frau empfindet sexuelle Frustration als quälend, aber solange sie verheiratet ist, wird sie ihrem Mann nicht untreu, weil sie Seitensprünge für falsch hält. Je näher sie dem Wahnsinn kommt, desto weniger wird sie ihrem sexuellen Verlangen widerstehen können.
    Es gibt bei Hyoscyamus eine klare Tendenz, den Körper in sexueller Absicht zu entblößen (Kent: »nackt – möchte sich entblößen«). Mir sind zwar keine Patienten begegnet, die sich in der Öffentlichkeit exhibitionistisch verhalten hätten (abgesehen von Hyoscyamus-Kindem und einem dementen Patienten im Krankenhaus), aber die Hyoscyamus-Frauen, die ich behandelt habe, hatten eine Tendenz, ihre Geschlechtsorgane unter dem Vorwand zu entblößen, dort sei ein körperliches Symptom oder eine Hautveränderung, die ich untersuchen solle.
Paranoia
    Hyoscyamus gehört zu den argwöhnischsten und am stärksten paranoiden Konstitutionstypen (Kent: »argwöhnisch«, »Angst, vergiftet zu werden«, »glaubt, er werde beschimpft«). Die meisten Hyoscyamus-Patienten, die einen Homöopathen konsultieren, sind nicht wirklich psychotisch, und viele von ihnen spielen ihre besonders ausgefallenen Gedankenmuster herunter, um nicht als geisteskrank zu gelten; deshalb zeigt sich ihre Paranoia eher auf subtile Weise. Wenn der Homöopath beispielsweise nicht ausgesprochen wohlwollend ist, hat die Patientin vielleicht das Gefühl, daß er etwas gegen sie hat, und sie wirft ihm das möglicherweise sogar vor. Vielleicht interpretiert sie auch die Endabrechnung der Elektrizitätsgesellschaft dahin gehend, daß man sie nun nicht mehr mit Strom versorgen will. Je stärker Hyoscyamus gestört ist, desto unrealistischer sind natürlich ihre paranoiden Ängste. In fortgeschrittenen Krankheitsstadien kann sie beispielsweise vermuten, daßGiftgas in ihr Haus gepumpt wird oder daß die CIA sie beobachtet. Diese wirklich paranoiden Befürchtungen sind von großer Ängstlichkeit begleitet, die zeitweise in schiere Panik ausarten kann.
Geschwätzigkeit
    Nicht alle Hyoscyamus-Patienten sprechen schnell und ohne Punkt und Komrna, aber einige tun es, und zwar besonders diejenigen, die sich hart an der Grenze zum Wahnsinn befinden. Diesen Typ kann man leicht mit Lachesis verwechseln, aber was Lachesis sagt, ist inhaltlich nicht so grotesk wie bei Hyoscyamus. (Ein anderer Typ, der schnell, ohne Unterbrechung und ziemlich sonderbar daherredet, ist Cannabis indica.) Wie Lachesis spricht Hyoscyamus schnell und wechselt häufig das Therna, weil ihr Gehirn unter dem Sperrfeuer eines endlosen Gedankenstroms steht. Das schnelle Sprechen scheint den Druck in ihrem Kopf etwas zu verringern. Es ist schwierig, dafür zu sorgen, daß solche Patienten bei der Sache bleiben, und es ist nicht minder schwierig, die Konsultation zu beenden, weil die Patientin immer weiter schnattert und den Hinweis auf das Ende der Sprechstunde einfach nicht zur Kenntnis nimmt. Der Homöopath muß vielleicht erst selbst den Raum verlassen, damit seine geschwätzige Hyoscyamus-Patientin sich endlich erhebt, und während sie den Raum verläßt, wird sie wahrscheinlich immer noch mit unvermindertem Tempo weiterreden.
Krankhafte Eifersucht
    Eifersucht ist eine Kombination aus Anhänglichkeit (oder Begehren) und Verlustängsten. Jeder Mensch kann unter Eifersucht leiden, aber Menschen, die sowohl ängstlich als auch sexbesessen sind, neigen in