Psychologische Venentherapie
Paul Linser erklärt in mehreren Publikationen, wie es dazu kommen konnte, dass seine Methode so häufig Schaden anrichtet. Er schuldigt die Ärzte selbst an, die die Injektionen ungeschickt oder falsch ausgeführt hätten und damit letztendlich auch das Material, das dabei verwendet wurde. Die Spritzen und Nadeln, die den Behandlern zur Verfügung stehen, sind so unhandlich und in der Anwendung so ungenau einzusetzen, dass man sich aus heutiger Perspektive nur wundern kann, dass man damit überhaupt Erfolge erzielen konnte. Trotzdem wird die Kochsalztherapie nach Paul Linser in den 1920er und 1930er Jahren mehr und mehr in ganz Europa angewandt und wird von den Nazis, die 1933 an die Macht kommen, auch als Teil einer „Germanischen Medizin“ angesehen, obwohl der Erfinder bei den neuen Machthabern nicht beliebt ist. Vorbei ist auch die fröhlich, ausgelassene Zeit der 1920er Jahre. Die Krampfaderbehandlung beschränkt sich wieder auf schwere Fälle mit schweren Abflussstörungen aus den Beinen. Diese Vereinnahmung der Kochsalztherapie nach Linser durch die Nazis führt dann innerhalb weniger Jahre aber auch dazu, dass die Kochsalztherapie bald nur mehr im Einflussbereich des „Dritten Reichs“ ausgeübt wird. Hier kommt noch eine politische Verstrickung hinzu, die mit der Methode selbst nichts zu tun hat. Auch die faschistische Ideologie eines unendlich harten Menschen, der alles in Eigenverantwortung regeln soll, kommt einer Methode nicht dagegen, die der Seele über den Zugriff der Krampfaderbehandlung hilft.
Die „amerikanische“ Medizin erlebt nach dem Krieg durch die Verbreitung von Penicillin als Antibiotikum in Westeuropa einen Siegeszug, der auch die Krampfadertherapie erfasst. Es wird in den Krankenanstalten entweder nach Babcock operiert, oder ein neues Mittel der chemischen Fabrik Kreussler in Wiesbaden benutzt, ein Schaumbilder namens Polidocanol, der 1946 unter dem Namen Aethoxysklerol® patentiert wird und bis zum heutigen Tag einen unglaublichen Siegeszug in der ganzen westlichen Welt angetreten hat. Wenn man vom „Veröden“ von Krampfadern spricht, meint man meist dieses Mittel, das wirklich zu einem Verschluss der Adern führt, die sich aber nur selten auflösen, weil der Körper den fremden Stoff erkennt und nur widerwillig abbaut. Polidocanol wird deshalb nicht zufällig vom Umweltbundesamt als gesundheits- und umweltschädlicher Gefahrenstoff eingestuft. Die Nachkriegszeit in Deutschland ist dadurch geprägt, dass man sich generell von der Vergangenheit abwendet und oft auch etwas blauäugig neue Entwicklungen an die Stelle traditioneller Verfahren setzt, die sich bewährt haben. Nirgendwo wird das augenscheinlicher als bei der Kochsalztherapie. Ihr hoher Wert ist evident, und trotzdem beinahe in Vergessenheit geraten. Nur wenige Menschen wissen davon. Dieses Unwissen hat in anderen Bereichen der Medizin deutlich nachgelassen. So war die Homöopathie nach dem Krieg fast nur mehr in Zirkeln Eingeweihter geübt worden, eine Nischentherapie, während heute die Hälfte der Deutschen auf diese Heilmethode schwört. Ähnlich ging es den Schüßler-Salzen, die noch in den 1980er Jahren sehr wenig angewandt wurden, heute aber wieder wie in den 1920er Jahren eine Form der Volksmedizin geworden sind. Der Grund für die vorübergehende Verdrängung waren nicht Zweifel am Wert der Methode, sondern die Tatsache, dass sich auch viele Nazis diese Therapien auf die Fahnen geheftet hatten und damit für sich vereinnahmten. Es hat lange gedauert, bis man diese Verstrickung lösen und den hohen objektiven Wert dieser Heilmittel wieder erkennen konnte.
Wie steht es jetzt mit der Kochsalztherapie? Ist sie nun Naturheilkunde oder Schulmedizin? Gewissermaßen ist sie beides. Sie ist im Ansatz ein naturheilkundliches Verfahren, denn sie benutzt eine Arznei, die in der Natur vorkommt und über Jahrtausende in der Medizin ihren Platz hatte. Mal wird sie von den Menschen hochkonzentriert verwendet, um Keime abzutöten – nicht nur im Pökelfleisch, sondern auch als Inhalationsbeimischung bei Atemwegsinfekten oder bei Infektionen der Haut. Mal wird sie sanft und hoch verdünnt bei Wasserverteilungsstörungen und Hauttrockenheit eingesetzt, und das unter homöopathischer Zubereitung oft so stark verdünnt, dass chemisch kein NaCl-Molekül mehr in der Trägerlösung vorhanden ist. Erst die Homöopathie, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Samuel Hahnemann begründet wird und sich weltweit ausbreitet
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