Psychologische Venentherapie
Last gelegt, dass hier und da Gewebsnekrosen mit anschließenden langwierigen Ulcerationen auftreten. Diese Ansicht ist nur insoweit richtig, als nach technischen Fehlern ein solches Ereignis zu erwarten ist. Wir haben von jeher auf dem Standpunkt gestanden, dass eine intravenöse Injektion kein leichter ärztlicher Eingriff ist, sondern eine erhebliche manuelle Geschicklichkeit und ständige Übung voraussetzt. Wenn man aber solche Fehler begeht, kann man sie nicht ohne weiteres auf das Schuldkonto des Injektionsmittels setzen. Zahlreiche Ärzte werden auf diesem Gebiet nie Meister. Nur der sehr geübte und auch stets in der Übung bleibende Arzt ist daher unseres Erachtens dazu geeignet, Krampfadertherapie zu treiben. Aus diesen Gründen wird die Methode wohl stets vornehmlich ein Privileg der Dermatologen und solcher praktischen Ärzte bleiben, die infolge ihrer besonderes Klientel sehr häufig intravenöse Injektionen vornehmen müssen.“
Diese Warnung haben sich die damaligen Kollegen zu Herzen genommen, vielleicht allzu sehr. Sie haben sich von der Kochsalztherapie ab und dem Polidocanol zugewandt. Zwar reizt jenes die Innenschicht von Gefäßen, aber wenn man daneben spritzt, gibt es höchstens unschöne bräunliche Verfärbungen und Verhärtungen, nicht aber weiche, mühselig abheilende Geschwüre. Letztendlich droht also die Kochsalztherapie daran zu scheitern, dass sie ihren letzten Fürsprecher verloren hat. Während die Chemische Fabrik Kreussler bis zum heutigen Tag viele hunderte Polidocanol-Therapeuten ausbildet, ist die Kochsalztherapie nahezu vergessen. Ganz Europa, nein, die Welt steht in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Bann der Polidocanolspritzer und Krampfadernoperateure.
Die ganze Welt? Nein, in Lahnstein, einem kleinen rheinischen Dorf in der Nähe von Koblenz, trotzt ein gewisser Dr. Bruker in der Klinik Lahnhöhe bei Koblenz dem Trend. Er ist dort Chefarzt und kann deshalb darüber bestimmen, welche Therapie er macht. Die Klinik widmet sich der ausgewogenen Ernährung und gesundheitsbewussten Lebensführung. Dazu passt auch eine Krampfaderentfernung mit einer natürlichen Substanz, die den Körper nicht mit Schadstoffen belastet. Der Zufall will es, dass dieser Max Otto Bruker (1909 – 2001) – bekannter noch unter der Abkürzung M. O. Bruker – einer der Tübinger Studenten von Prof. Schneider Anfang der 1930er Jahre war und damals in den Bannkreis der Kochsalztherapeuten geriet. 1909 geboren, ist Bruker nach dem Krieg selbst schon ein Mann in mittleren Jahren, als er in Lahnstein sein Gesundheitszentrum vor allem dadurch bundesweit bekannt macht, weil man dorthin fahren kann, um an sich noch diese geheimnisvolle Kochsalztherapie durchführen zu lassen. Es heißt immer wieder bei den Ärzten, die man danach fragt, die Kochsalztherapie sei nur mit großen Risiken und unter häufigen Nebenwirkungen durchzuführen. Dr. Bruker weiß also, dass er die Methode verbessern muss, und das tut er auch, indem er immer dünnere Nadeln und darunter auch schon den Butterfly verwendet. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts behandelt Bruker nach und nach 20.000 Krampfaderpatienten mit hochprozentiger Kochsalzlösung und sehr guten Erfolgen. Heute noch kommen Patientinnen zu mir, die bei Dr. Bruker waren und meine Praxis aufsuchen, weil sie begeistert von der Krampfadernentfernung in Lahnstein waren.
In einem Ratgeber, der heute noch lieferbar ist, schreibt Bruker Ende der 1990er Jahre: „Die Frage ist berechtigt, weshalb außer mir ... sich kaum ein Arzt in Deutschland findet, der diese Verödungsmethode durchführt. Ein triftiger Grund lässt sich eigentlich nicht nennen, es sei denn der, dass eben diese Behandlungsmethode in der Ausbildung der Ärzte nicht mehr gelehrt wird. Ich glaube, dass einer der wichtigsten Gründe darin liegt, dass diese Methode zu einfach ist und die Menschen (ich meine auch meine Kolleginnen und Kollegen) es sich nicht vorstellen können, dass man Krampfadern mit einer Methode, die nur zwei Minuten dauert, endgültig, komplikationslos und kosmetisch einwandfrei beseitigen kann. So kommt es, dass heute noch Krampfaderoperationen ausgeführt werden, von denen ich schon vor 70 Jahren lernte, dass sie ein Kunstfehler seien.“
Auch nach Brukers Rückzug aus Altersgründen wird die Linsersche Methode in Lahnstein fortgesetzt. Dabei belässt man es aber meist, wie von Bruker vorgegeben, bei der Behandlung einer einzigen Krampfader und
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