Psychotherapeuten im Visier
Wahrheitssuche. All das kombiniert mit einer exaltierten Wortwahl und Stimmbetonung vom Deklamieren bis zum affektierten Nuscheln weist auf ein Persönlichkeitsdefizit des Therapeuten hin. Warum hat der dieses Spektakel eigentlich nötig?
Nach meinem Verständnis ruht ein guter Therapeut in sich, hat einen offenen, interessierten Blick, lädt spontanemotional ein, ohne fraternisieren zu wollen, ist ernsthaft, ohne bereits das Unheil hinter dem unruhigen Blick des Patienten zu signalisieren, kurz: er ist so und verhält sich so, wie wir selbst andere behandeln, wenn wir frei von Krankheit und Leid sind – unverkrampft und selbstbewusst, ohne jeden Anflug von Überheblichkeit.
Wer unter Depressionen leidet und zum Patienten wird, hat häufig ein erstaunliches Gespür, was die Marotten anderer Menschen angeht, geradezu seismografisch. Wie gern würde er über oder sogar mit seinem Therapeuten über dessen so offensichtliche Spleenigkeit reden, aber das kann er in seiner Rolle des Geschwächten natürlich nicht. Nach seiner Genesung und hoffentlich einem Therapeutenwechsel wird er es aber tun, das ist gewiss. Und er wird sagen: Wie konnte ich nur so lange auf das dürre Rollenspiel dieses Therapeuten hereinfallen!
Äußere Erscheinung und Habitus sind an sich noch keine Beurteilungskriterien für die Qualität eines Arztes oder Psychologen, es sei denn, sie weichen in ihrer Skurrilität zu weit von unseren Erfahrungen im Umgang mit Menschen des eigenen sozialen Umfeldes ab. Skurril oder nicht, entscheidend ist die Wirkung, die ein Therapeut auf sein Gegenüber hat. Der Kellner eines teuren Restaurants, der sich vornehmer gibt als sein Gast, ist ein unsensibler, schlechter Kellner. Aber auch er trägt Verantwortung, nämlich die für den notwendigen wirtschaftlichen Erfolg seines Restaurants. Eine vergleichbare Verantwortung in Habitus, Kleidung und Ausstrahlung trägt der Therapeut: Er sollte ein Menschenfänger sein und nicht wie eine Vogelscheuche wirken. Er muss keinesfalls dem habituellen und modischen Mainstream entsprechen, er sollte vielmehr die wohltuende Sicherheit des erfahrenen Handwerkers ausstrahlen. Der schicke Blaumann mit Namenslabel allein ist noch keine Garantie für handwerkliche Qualität. Die zeigt sich erst im kompetenten Agieren, so wie es der Elektriker bei mir bewiesen hat.
Die Frage, ob Mann oder Frau mein Wunschprofil vom Therapeuten erfüllt, ist nicht leicht zu beantworten. Ich kenne hochkomplex agierende Ärztinnen und Therapeutinnen ebenso wie ihre männlichen Kollegen. Auch in der manchmal skurrilen Selbstdarstellung unterscheiden sie sich nicht, als gäbe es den vereinbarten Kodex des therapeutischen Unisexverhaltens.
Wenn ich von der typischen biografischen Situation eines Menschen ausgehe, der wirklich und ernsthaft einer Psychotherapie bedarf, dann begegnen sich zwei mit ganz unterschiedlichem Kräftepotenzial. Männer sind nun einmal ungern unterlegen, können sich aber in dieser hoffentlich temporären Rolle einem Mann leichter öffnen als gegenüber
einer Frau – unabhängig von Alter, Status und erotischer Ausstrahlung. Wie weit jemand seine eigene Intimität mitteilen will, gerade wenn es um sexuelle Fragen geht, muss er selbst entscheiden. Es sollte aber keine therapeutischen Tabuzonen geben, schließlich geht es nicht um Selbstdarstellung sondern um Genesung. Es gibt hochwirksame Psychopharmaka, die als Nebenwirkung eine sehr starke Einschränkung der Libido und der Erektionsfähigkeit nach sich ziehen. Es gibt Alternativen, aber das Phänomen einer erektilen Dysfunktion kann nun einmal nur ein Mann kennen und ich selbst würde mich in diesem Kontext in einem therapeutischen Gespräch mit einem Mann wohler fühlen. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Ich habe die angesprochenen Themen der vermeintlichen Äußerlichkeit bewusst so breit ausgeführt, weil jeder Patient sich in dieser biografisch schwierigen Situation selbst zurechtfinden und wohlfühlen muss, um auch weiterhin an die Sinnhaftigkeit eines Weiterlebens glauben zu können.
Ist die Schwelle des Einstiegs in die Behandlung überwunden, gab es erste kleine Signale der Hoffnung und der Zuversicht, dann bestimmt der zweite Schritt, ob es sich tatsächlich um das von mir zu skizzierende Wunschprofil handelt oder nur um den oft trostlosen therapeutischen Alltag, in dem sich beide Seiten nichts wirklich zu geben haben. Nur: Leiden tut allein der Patient.
Was wünscht er sich und was erwartet er im
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