Psychotherapeuten im Visier
Tragische einer sich nicht erfüllen könnenden Liebe. Schau mir noch einmal in die Augen.
Im Sprachgebrauch gibt es die Floskeln »Wenn Blicke töten könnten«, »wenn Blicke sprechen könnten«, man sagt auch, dass der Blick eines Menschen verletzend ist, und natürlich gibt es den wohlwollenden Blick, den fürsorglichen und den gütigen ebenso wie den kritischen Blick. Der erste Blickkontakt kann die Basis einer großen Liebe sein. Diese wenigen Beispiele zeigen, welch enormes Bedeutungsspektrum der Augenkontakt zwischen zwei Menschen aufweist.
Hat die therapeutische Zunft niemals über dieses Phänomen nachgedacht? Warum setzt sie bis heute das starre Fixieren als Waffe gegen den wehrlosen Patienten ein? Zwei Sekunden – oft mehr –, die einen Patienten aller Kräfte berauben können. Ist es wirklich so schwer, sich von diesem unangenehmen Ritual zu befreien? Ist es so schwer, den Blickkontakt zuerst einmal auf Dinge zu lenken, die zwischen Patient und Therapeut Vertrauen schaffen? Blicke, die nicht Scham über das vermeintlich eigene Versagen in der Depression provozieren, sondern den Blick auf das Mögliche lenken? Seinem Therapeuten in die Augen schauen zu wollen ist der größte Beweis eines Patienten für eine akzeptierte Therapie.
So wie kämpferische Patienten in den 80er-Jahren mithilfe der Medien die Medizingötter in Weiß entthront haben, so ist es dringend an der Zeit, dass die Millionen von depressiv erkrankten Menschen sich Gehör verschaffen und endlich die vielen Missstände von Unterversorgung bis Scharlatanerie aufgedeckt und angeprangert werden. Depressionspatienten sind zwar häufig temporär wehrlos, aber gerade deshalb bedürfen sie einer besonders feinfühligen, empathischen Behandlung.
Und: Sie müssen endlich spüren und erfahren, dass sie sich auch dadurch ernst genommen fühlen können, dass mehr Gewicht auf Grundlagen- und angewandte Forschung gelegt wird.
So wie in diesem Land der Bildung junger Leute politisch und finanziell keine wirkliche Priorität beigemessen wird, so ist es auch in der Depressionsforschung. Daran haben auch medienwirksame Ereignisse im Zusammenhang mit der Depression nichts geändert. Hochrangige Politiker standen zwar an den oft theatralisch dargebotenen Särgen, hielten salbungsvolle Reden, aber nicht einmal eine solche Konfrontation mit dem gewaltsamen Tod von eigener Hand hat in den Köpfen etwas bewirkt. Die oft todbringende Krankheit Depression soll im Bewusstsein der Öffentlichkeit keine wirkliche Prägnanz hinterlassen. Die Gesellschaft handelt vorsätzlich nach dem St.-Florians-Prinzip und ihre Handlanger sind die Therapeuten.
Muss es wirklich erst zu weiteren grausamen, spektakulären Todesfällen von eigener Hand kommen, damit wir alle aus unserer wohlgefälligen Schläfrigkeit aufwachen? Von der Öffentlichkeit können wir Anteilnahme und medienwirksame Unterstützung erwarten – die kann ich garantieren. Ich weiß aber auch, dass es bei den jungen Ärzten und Therapeutenanwärtern mit der Ausbildung zum Psychologen gärt. Und wenn diese ihre oft despotischen Chefs entmachten könnten, sie würden es tun.
Diese Nachwuchsgeneration wird den ergebnisoffenen Fachdiskurs einfordern und den Austausch mit Depressionspatienten suchen und ausbauen. Die meisten Potentaten spüren irgendwann, dass ihre selbst gewählte Festung den Waffen des Geistes und der Überzeugung nicht standhalten wird. Sie fliehen ihren Machtbereich und wenn sie Glück
haben, finden sie auch weiterhin das Asyl der Menschlichkeit ihrer Umgebung. Aber dann sollten sie frei von Überheblichkeit und auch einsichtig sein. Schuld wäre ein zu hartes Urteil.
Ist all das nur ein fantasievolles Wunschprofil? Nein, es ist ein Hilfeschrei im Sinne all derer, die so furchtbar unter Depressionen leiden und verzweifelt auf Hilfe warten.
Mein Wunschtherapeut: Ein Profil
Seit Kurzem wohne ich in einem alten Haus, Baujahr 1920. Jetzt gab es gerade – offenbar zum ersten Mal – ein ernstes Problem mit der Elektrik. Ein Nachbar, der in einem Haus mit demselben Baudatum lebt, riet mir: »Sie brauchen einen guten Elektriker.« Er sollte mindestens 45 Jahre alt sein, über viel Erfahrung in der Sanierung alter Häuser verfügen und auch schon einmal hier bei uns in der Straße, wo die Häuser alle aus den 20er-Jahren stammen, gearbeitet haben. Er nannte mir den Namen einer Elektrikerfirma, die auch bei ihm seit Jahren die typischen Mängel der Häuser aus dieser Zeit mit großer Kompetenz
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