Psychotherapeuten im Visier
behoben hat. Es war eine gute Empfehlung: Die defekte Leitung hätte auch schnell einen Brand auslösen können – so viel verstehe auch ich von elektrischen Leitungen und ihren Verschleißerscheinungen. Der Handwerker, der kam, war um die 50, er sah sich die Verteilung an, prüfte die defekte Leitung und sagte, was jetzt zu tun
sei. Die zwingend notwendigen Maßnahmen, die er vorschlug, haben mich überzeugt. Wir besprachen den Arbeitsaufwand, die erforderlichen baulichen Maßnahmen, den notwendigen Zeitrahmen und die Kosten, die anfallen würden. Ich habe dann einen Tag über sein Sanierungskonzept unseres Leitungssystems nachgedacht, habe Nutzen und Kosten in Relation gesetzt und den Auftrag erteilt.
Innerhalb von fünf Stunden – viel schneller als gedacht – waren zwei neue Kabelstränge eingezogen, die elektrische Verteilung auf einen guten technischen Stand gebracht – alle Stromkreise funktionieren problemlos und ich kann wieder ruhig schlafen.
Was lässt sich aus dem Geschehen auf die Therapeuten übertragen? Es sind die drei Säulen, die das Fundament jedes Handwerks- und Heilberufes ausmachen: fachliche Kompetenz, Erfahrung und Vertrauen.
Schopenhauer hat gesagt: »Die Freunde nennen sich selbst aufrichtig, die Feinde sind es.« Ich bin kein Feind der Therapeuten, aber ich versuche in allen Kapiteln dieses Buches aufrichtig zu sein, ich schone niemanden, will aber auch niemandem schaden – das brächte uns nicht weiter. Wer mir nach der Lektüre vorwerfen mag, dass ich mit meinen Äußerungen doch nur die Patienten verunsichern würde, denen halte ich vehement entgegen: Wenn ihr, die Therapeuten, nur in der Lage seid, höchstens 10 Prozent der euch anvertrauten Patienten, die unter Depressionen leiden, kompetent und nachhaltig zu behandeln, ihr aber 50 Prozent der Patienten so »therapiert«, dass sie sogar Schäden davontragen, dann ist es an der Zeit, den Schleier des vermeintlichen Erfolges der Therapeuten zu lüften – im Sinne aller Hilfe suchenden Patienten. Schließlich trägt ein mittelmäßiger Therapeut sehr viel mehr zur Verunsicherung der Kranken bei als eine vorab geäußerte
Warnung: Achtung, habt im Rahmen eurer Therapie immer die dürftige Zahl von 10 Prozent wirklichem Behandlungserfolg vor Augen, Patienten, seid wachsam und kritisch. Und wenn ihr selbst die Kraft nicht aufbringen könnt, euch gegen irgendwelche dubiosen Behandlungsschritte zu wehren, dann schaltet eure Partner, Angehörigen und Freunde ein. Dabei ist zu beachten – das als Vorwarnung! – dass Therapeuten auf Kritik äußert pikiert reagieren, sie sind schnell beleidigt und lassen dann gern ihren Ärger an den Patienten aus, indem sie ihren großen Werkzeugkasten der Verunsicherung einsetzen nach dem Motto: Es ist doch wohl klar, wer in dieser Situation am längeren Hebel sitzt!
Manche Ärzte anderer Fachrichtungen empfinden das Einholen einer Zweitmeinung auch als Angriff auf ihre Kompetenz und reagieren beleidigt, in Therapeutenkreisen ist der Begriff der Zweitmeinung geradezu verpönt – die eine Krähe hackt der anderen doch kein Auge aus. Dass eine derart bornierte Haltung nicht gerade dem kollegialen Austausch und damit dem Patienten dient, ist eindeutig, illustriert aber auch das Verständnis solcher Therapeuten gegenüber ihren Patienten.
Es versteht sich von selbst, dass mein Wunschprofil eines Psychotherapeuten anders aussieht. Das, was einen guten Handwerker auszeichnet, gilt auch für einen Therapeuten: Kompetent, erfahren und vertrauenswürdig soll er sein. Das klingt so selbstverständlich, ist es aber nicht. Unter kompetent verstehe ich nicht allein die ärztliche und psychologische Kompetenz, sondern meine ein Persönlichkeitsbild, das ohne jede pathetische Selbstinszenierung auskommt. Jedwede Form zur Schau getragener Bedeutung ist auffällig und meist auch zweifelhaft. So wie ein guter Künstler es nicht nötig hat, sich als solcher zu verkleiden, so kann ein Therapeut
gern ein Bild von sich geben wollen – das tun wir alle –, aber bitte nicht das eines Therapeuten. An dieser Stelle sei eine Verallgemeinerung des negativen Typs des Therapeuten erlaubt: bedeutungsschwerer Bart nach Freud’schem Schnittmuster, die dazugehörige Brille, eine genialisch anmutende Haartracht, lang, kurz, mit Zopf, eine sich selbst karikierende Kleidung oder auch die so gern gepflegten Macken wie starrer Blick, leichtes Entrücktsein oder das beiläufige Spielen mit einem Stein in der Hand als Symbol der
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