Pubertät – Loslassen und Haltgeben
Schuldgefühle nehmen. Man könnte offener auf das Kind zugehen, den schwulenpubertierenden Jungen aus seiner (manchmal) selbst verordneten Isolation befreien, ihm Angst und Unsicherheit nehmen, ihm helfen, zu seiner Sexualität zu stehen. Indem ein Junge das Gefühl erfährt, so angenommen zu sein, wie er ist, kann er lernen, sich auch anzunehmen: selbstbewusst und ohne Scheu.
Schwule Jungen haben es schwer: abgelehnt von gleichaltrigen Heterosexuellen und begleitet von den Eltern, die hin und her gerissen sind zwischen widersprüchlichen Gefühlen. Da ist Verunsicherung, da ist der quälende Gedanke, falsch erzogen zu haben, aber da ist auch die Überzeugung: «Das ist immer noch unser Sohn, egal, was da kommen wird!»
Genau das ist schwulen Jungen häufig unklar. Sie empfinden Halt- und Orientierungslosigkeit, haben Probleme, sich zu outen, zu ihrer Veranlagung zu stehen und diese mitzuteilen. So machen schwule Jungen viel durch: Sie leugnen ihre Homosexualität lange und geraten dadurch in Isolation. Viele denken dann auch an Selbstmord. Nicht selten ist die Mutter die erste Person, die eingeweiht wird. Der Vater bleibt ausgespart, erwartet man doch von ihm keine angemessene, keine einfühlsame Antwort.
Dabei gibt es keine perfekte Reaktion, wenn Eltern erfahren, dass ihr Sohn schwul ist. Wenn man sich selbst bemitleidet («Warum gerade er?»), wenn man sich mit Schuldvorwürfen geißelt («Was habe ich nur falsch gemacht?»), so mag diese erste Reaktion den Schockzustand ausdrücken, in den man geraten ist. Schwule Jungen wünschen sich in dieser Situation am meisten, nach wie vor die Söhne ihrer Eltern zu sein. Es kommt mithin nicht auf viele Worte der Eltern an, bedeutsam ist die Haltung. Es gilt, den Sohn so anzunehmen, wie er ist. Hier ist keine kurzfristige Haltung gefragt, sondern es stellt sich eine lebenslange Aufgabe.
TEIL II
PUBERTIERENDE WOLLEN ERZIEHUNG, PUBERTIERENDE BRAUCHEN ORIENTIERUNG
«Ihre Lösungen», so schleudert mir eine Mutter empört entgegen, «die klingen so leicht. Als wäre alles so einfach.» Ein Vater pflichtet ihr bei: «Es ist eben nicht so einfach, sondern verdammt schwer, mit Jugendlichen unter einem Dach zu leben. Es ist ein einziger Stress, das sage ich Ihnen. Und man stolpert jeden Tag in eine Falle, macht Fehler.» – «Man will eben alles richtig machen», ergänzt eine andere Mutter. «Man hat ja so viel gelesen, wie ein Kind durch Fehler auf die schiefe Bahn gerät. Und dann tut man alles für das Kind, will nur sein Bestes.»
Zugegeben: Es ist ein Kreuz mit der Erziehung von Heranwachsenden. Man bewegt sich ständig in der Gefahr, in eine Falle zu tappen. «Ich habe mir geschworen», berichtet der Vater von zwei pubertierenden Söhnen, Simon, 11, und Lucas, 12 Jahre, «bloß nicht die Fehler von früher zu wiederholen.» – «Welche Fehler?», will ich wissen. «Mein Vater hatte nie Zeit für mich, war immer gleich auf 180. Also habe ich mir gesagt: Wenn du Kinder hast, dann brauchen sie Zeit. Und sei geduldig, bleib ruhig, schrei nicht. Aber wenn ich mit ihnen zusammen bin, dann nerven wir uns gemeinsam, oder die machen sich gegenseitig an. Irgendwann brülle ich los. Dann sind sie ruhig. Das tut mir zwar gut, aber ich habe riesige Schuldgefühle danach, weil ich versagt habe, weil ich mir denke, es muss anders gehen. Doch ich sag mir dann: Ich hab auch Gefühle, ich muss doch damit auch irgendwo bleiben.» Dieser Vater hat sich – wie viele andere Eltern – eine geradezu klassische Falle gestellt: Entweder er übersieht seine eigenen Bedürfnisse, denkt nur daran, wie die Wünsche seiner Kinder angemessen zu befriedigen sind, oder er verstößt gegen selbst auferlegte Grundprinzipien.
VOM MUT ZUR GELASSENHEIT UND VOM MUT ZU FEHLERN
Das Lebensziel, perfekt sein zu wollen, ist die Kehrseite davon, dass heutige Eltern ein großes, häufig aber einseitiges psychologisches Alltagswissen besitzen. Populäre Ratgeber und journalistische Aufklärung im Light-Format vermitteln Überzeugungen, denen zufolge schon
ein
Erziehungsfehler bei Heranwachsenden zu gravierenden Problemen im späteren Leben führen kann. Wer will seinen Kindern so negative Perspektiven zumuten? Also werden alle Anstrengungen unternommen, Kindern jedweden Frust zu ersparen, vermuten Eltern doch, dass Frustration schnell in Lebensunzufriedenheit und Aggression umschlagen kann.
Doch diese Meinung übersieht Entscheidendes: Nicht
eine einzelne
problematische Erziehungsmaßnahme wirkt sich
Weitere Kostenlose Bücher