Pubertät – Loslassen und Haltgeben
man keinen Respekt vor der kindlichen Persönlichkeit hat.
Die Eltern haben bei der Schamerziehung Vorbildcharakter – nicht nur in dem, was sie sagen, sondern vielmehr in dem, was sie tun: Zeigen sie zu viel Scham, hat das Auswirkungen auf das Körpergefühl und die Sexualität der Heranwachsenden; zeigen sie zu wenig Scham, so entwickelt sich keine Intimsphäre, die die körperliche und psychische Unversehrtheit aller Familienmitglieder gewährleistet.
So gilt es ständig, die «richtige» Mischung aus Nähe und Distanz zu finden. Dies ist in Übergangszeiten der kindlichen Entwicklung nicht einfach. Schamerziehung ist eine immerwährende Suche. Manchmal geht man Umwege, manchmal befindet man sich in einer Sackgasse, und wenn man denkt, da ist Licht am Ende des Tunnels, dann ist möglicherweise ein neues Problem da.
«Das ist das Nervige an der Schamerziehung», hat einmaleine Mutter formuliert, «wenn du denkst, du hast ’ne Lösung, dann steht ein neues Problem vor der Tür. Und du musst wieder nach einer Lösung suchen. Es hat einfach kein Ende!»
Schwulsein
«Er spielt mit Puppen, ist das normal?»
«Als Markus vier oder fünf war», so fängt sein Vater, Thomas Geier, an, «da dachte ich, der ist nicht normal, der ließ sich die Haare lang wachsen. Als er zum Friseur sollte, machte er ein Theater. Der beruhigte sich nicht mehr. Dann spielte er mit Puppen. Mit Jungenspielsachen hatte er nichts am Hut. Ich sah ihn schon ins Rotlichtmilieu abgleiten. Jetzt ist er zwölf und pfeift Mädchen nach. Nun ist er wieder normal!»
Sonja Brandt berichtet: «Unser Thomas, ein richtiger Rabauke, war elf, da hatte er zwei Freunde. Einmal habe ich heimlich beobachtet, wie die drei zusammen onanierten. Da war ich total fertig!»
«Ich hab bald gespürt, ich steh nicht auf Mädchen»
«Ich hab schon früh gespürt, dass ich nicht auf Mädchen stehe», erzählt der 1 6-jährige Jakob. «Aber ich hab’s mir nicht eingestehen wollen und besonders auf Macho gemacht, obwohl ich das absolut blöd fand. Aber ich wollte nicht als Schwuchtel gelten.
Tja, und als ich 15 war, hab ich’s meiner Mutter gesagt. Die hat geweint, aber mich in den Arm genommen und gesagt, ich sei ihr Sohn, egal, was passiert ist. Bei meinem Vater, da war es anders. Der ist völlig ausgerastet. Der hat mich zum Psychologen geschickt, damit der mich normal macht. Aber der hat meinen Vater zu sich geholt, damit der normal wird.» Er lacht. «Jetzt verstehen wir uns mittlerweile. Aber so richtig anfassen mag er mich nicht. Vielleicht denkt er, ich stecke ihn an.»
Betrachtet man die sexuellen Vorlieben von Jungen, ist zwischen geschlechtstypischen Erwartungen, die die Eltern und die Umwelt haben, und einer dauerhaften sexuellen Orientierung zu unterscheiden. Da existieren zunächst Phasen, in denen Jungen sich gleichgeschlechtlich ausrichten – etwa, wenn sie im Kindergarten im Band organisiert sind; im Schulalter, wenn sie unter ihresgleichen sein wollen, oder eben in der Pubertät. Die gleichgeschlechtliche Bindung hat zwei Funktionen: Man grenzt sich nach außen – von Mädchen – radikal ab, man solidarisiert sich nach innen, wobei auch hier eine Differenzierung zu beobachten ist: die großen gegen die kleinen, die starken gegen die schwachen Jungen. Jungen, die bestimmten Rollenklischees nicht entsprechen, haben es doppelt schwer: Da sind die gleichaltrigen Jungen, die untypisches Verhalten schnell als «schwul» oder «weibisch» abtun, da sind Eltern, Verwandte und Bekannte, die sich Sorgen machen, verunsichert reagieren, wenn Jungen den Erwartungen nicht entsprechen, wenn sie Kleider tragen wollen, Puppen den Bauklötzen vorziehen oder ihre Haare zu Zöpfen flechten. Diese Jungen geraten schnell in den Verdacht, mit ihnen stimme etwas nicht, sie seien «auf dem Weg zu einem anderen Ufer».
Homosexualität zeigt sich manchmal schon in der Pubertät
Homosexualität als dauerhafte Veranlagung empfinden Pubertierende vom zwölften Lebensjahr an. Sie stellt eine normale Variante der Sexualität dar. Sie ist ein Teil der sexuellen Ausrichtung des Menschen, die sich aus einem Gemenge genetischer, neurologischer und biologischer Einflüsse zusammensetzt. Umweltfaktoren spielen hierbei keine Rolle. Eltern können also in dieser Hinsicht nicht falsch oder richtig handeln.
Würde dieser Umstand mehr ins Bewusstsein rücken, könnte man über schwule Jungen vorbehaltloser und weniger verklemmt und ängstlich reden. Man könnte Eltern die
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