Pubertät – Loslassen und Haltgeben
ständig beobachtet und angestarrt.
Bei manchen Pubertierenden wird der Körper gar zum Schlachtfeld. Man magert ab, stopft schnell und vieles in sich hinein und übergibt sich dann; andere werden fettleibig, wieder andere ritzen sich Wunden in Arme und Beine, sodass das Leiden – mal offen, mal heimlich – zutage tritt.
Scham schafft Distanz und Schutz
Schamgefühle, Schamerziehung haben vielerlei Facetten. Sie sind nicht allein auf Sexualität, gar auf Nacktheit, zu reduzieren. Schamerziehung ist vielmehr Teil eines sozialen Lernprozesses, einer Werteerziehung. Ein zivilisatorisches Zusammenleben kann man sich ohne Schamgrenzen nicht wirklich vorstellen. Durch sie entstehen verbindliche Normen, durch Schamgrenzen entsteht eine Intimsphäre. Manchmal muss man sich an Schamgrenzen reiben, sich mit ihnen auseinandersetzen, um zu neuen Perspektiven zu kommen. Dies hat die Frauenbewegung in den 70er und 80er Jahren gemacht, als sie Mut bewies, um auf gesellschaftliche Doppelmoral aufmerksam zu machen: Den Männern wäre alles erlaubt, Frauen hätten sich anzupassen, hätten sich bei Grenzüberschreitungen gefälligst zu schämen. Das ist genau die Scham, die keiner braucht, sonst bleibt man ein angepasster Duckmäuser, der sich nichts traut.
Scham kann man somit unter einer zweifachen Perspektive sehen: Zweifellos kann sie einengen, kann sie behindern, kann sie die Entfaltung zu einer eigenständigen Persönlichkeit nicht zulassen. Zugleich – und das ist dann die andere Seite der Medaille – hat Scham nichts Altmodisch-Konservatives an sich. Sie trägt vielmehr strukturierende Elemente in sich: sich abzugrenzen,einen persönlichen, intimen Bereich zu schaffen, in dem die Person entscheidet, wer diesen Raum betreten darf. Scham schafft eine Distanz, ohne die eine wohltuende Nähe nicht möglich ist. Scham verlangt Achtung, respektiert aber zugleich die Schamgrenze des anderen. Durch Schamgefühle können sich somit Rücksichtnahme und Mitgefühl aufbauen. Schamgefühle bringen einen natürlichen Schutz mit sich, der gerade für Kinder und Jugendliche absolut wichtig ist. Nur der Mensch, den man liebt, darf einen nackt, unbedeckt und unbeschützt sehen – aber eben nicht in jeder Phase der Entwicklung. Manchmal mag man sich – gerade in Übergangszeiten – selbst nicht leiden, weil man an seinem Aussehen, seiner Veränderung leidet – und dann will man sich nicht anstarren, anblicken lassen, und sei es aus elterlicher Sicht noch so gutgemeint. Wer – wie in der Pubertät – sich selbst nicht mag und akzeptiert, will in dieser Lebenssituation auch nicht gemocht und akzeptiert werden. Man kann es den Pubertierenden in dieser Zeit nicht recht machen, weil sie selbst nicht wissen, was richtig oder falsch ist.
«Die sollen uns einfach nur lassen, einfach mal die Klappe halten», so hat es einmal ein 1 6-jähriger Junge ausgedrückt, «wir kommen ja schon, wenn wir sie brauchen.»
Grundlagen der Schamerziehung
Überblickt man diese Gedanken zur Schamerziehung, dann werden einige Prinzipien deutlich, die es zu beachten gilt, will man den Draht zu Kindern und Jugendlichen erhalten:
Wenn sich Heranwachsende schämen, dann sind Verständnis und Respekt die einzig mögliche Reaktion: beim Kind bleiben, es so annehmen, wie es ist, Dialogbereitschaft anzeigen, aber sich nicht in irgendeiner Weise über die Schamgefühle – zum Beispiel das abgeschlossene Badezimmer, die fehlende Bereitschaft, sich nackt zu zeigen – lustig machen, die Heranwachsenden gar verspotten. Unabdingbar ist, die Intimsphäreund die räumlichen Grenzen, die sie setzen, zu respektieren.
Umgekehrt muss aber das Kind lernen, die Intimsphäre, die Grenzen anderer zu respektieren. Von einem bestimmten Alter an kann ein Kind Bedürfnisse verschieben – zum Beispiel nach sofortiger Selbstbefriedigung, indem es in einen anderen Raum geht oder indem es dieses Bedürfnis auf einen späteren Zeitpunkt verlagert. Wenn Eltern diesbezüglich Grenzen setzen, hat das nichts mit Verboten, gar einer altmodischen Haltung zu tun, sondern mit einer Werteerziehung, die Respekt für alle Beteiligten einfordert.
Ein Kind darf man nicht durch ständige Vergleiche mit anderen Kindern («Schämst du dich denn nicht, wie du dich verhältst? Die anderen können das doch auch!») absichtlich beschämen, noch durch Liebesentzug («Es ist zum Davonlaufen, wie du dich verhältst!») kränken. Damit drillt und dressiert man ein Kind, hält es klein und zeigt, dass
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