Pubertät – Loslassen und Haltgeben
ich es früher so gut gehabt hätte, der Himmel hätte mir offen gestanden!» Oder: «Irgendwann ist meine Geduld am Ende, das sage ich dir. Das lasse ich mir nicht mehr gefallen!» Oder: «Ich find’s auch nicht gut, wenn ich dich anschreie! Ehrlich nicht! Aber es muss sein, sonst hörst du ja nicht!»
Perfektionistisches Handeln kann man überwinden, wenn Eltern (oder andere pädagogisch Handelnde) einige Grundsätze berücksichtigen:
Heranwachsende sind nicht beliebig formbar. Kinder sind keine unbeschriebenen Blätter, denn sie bringen ein Bündel von Veranlagungen mit. Bedenken Sie: Die Erziehungsbeziehung zwischen Eltern und Kindern muss die Eigenart des Heranwachsenden berücksichtigen. Vielleicht rührt die Ungeduld, die Versagensangst oder auch die Hilflosigkeit, die Sie empfinden, aus dem Bestreben, bei Ihrem Kind etwas zu verändern, das sich nicht verändern lässt. Manchmal wird ein Heranwachsender, der als Kind ständig – einem Panther gleich – auf dem Sprung war, in der Pubertät zu einer langsamen Schnecke. Diese Tempoverringerung hat vielleicht einen Sinn. Und statt einer Schnecke Flügel zu machen, kann es sich als produktiver erweisen, sich als Begleiter der Schnecke zu verstehen. Schnecken mit Flügeln sind fluguntauglich und stürzen ab. Schnecken mit Begleitern fühlen sich sicher, weil sie sich im Schneckenhaus neu finden können, und dies gelingt ihnen umso gekonnter, wenn sie um schützende Rahmenbedingungen wissen.
Jedes Kind ist anders. Heranwachsende haben es nicht verdient, ständig mit anderen verglichen zu werden. Vor allem: Eltern vergleichen hauptsächlich dann, wenn sie Heranwachsende auf Defizite hinweisen wollen. Vergleiche setzen Eltern unter Druck: «Was hab ich falsch gemacht?» – «Warum habe gerade ich so ein Kind?» – «Was denken andere über mich und mein Kind?»
Wenn mehrere Kinder in der Familie leben, dann ist es schier unmöglich, es allen Heranwachsenden zur gleichen Zeit recht zu machen. Dieser Gerechtigkeitsfundamentalismus engt ein, macht Eltern zugleich erpressbar: «Immer darf der mehr! Du hast mich nicht richtig lieb!» Bedenken Sie: Man kann nichtallen Heranwachsenden in jeder Minute des pädagogischen Alltags gerecht werden. Doch man kann sich bemühen, jedes Kind in seiner Eigenart, seinem Entwicklungsprozess, seinem individuellen Können anzunehmen. Wenn sich ein Kind der elterlichen Annahme sicher ist, dann vermag es Frustration und Krisen auszuhalten.
Manche Eltern handeln nach dem Grundsatz: Nur wenn es meinem pubertierenden Kind gutgeht, dann geht es mir gut. Wer nach diesem Motto lebt, der wird nicht nur ständig von Schuld- und Versagensgefühlen heimgesucht, sondern wahrscheinlich die gesamte Kraft und Energie darauf verwenden, das Kind und seine Umgebung zu verändern. Denn es soll ihm ja schließlich gut gehen. Eltern, die sich aufopfern und in der Erziehung aufgehen, sind bei Heranwachsenden nicht sonderlich beliebt. Vielmehr macht eine selbstauferlegte Opferhaltung gerade Jugendliche aggressiv, führt dies doch zu einer symbiotischen Abhängigkeit. Versuchen Sie nicht, jemanden zu verändern, der sich nicht verändern lassen will! Schätzen Sie Ihre Kräfte richtig ein. Wenn Ihr Kind sich, dem Hummer gleich, in die Höhle zurückzieht, dann folgen Sie ihm nicht. Je mehr Sie ihm auf die Pelle rücken, desto weiter zieht sich Ihr Kind zurück. Lassen Sie Ihrem Kind Zeit, und nehmen Sie sich Zeit dafür, die Person zu verändern, die Sie wirklich verändern können: sich selbst!
Denn auch auf Sie warten neue Aufgaben, wenn der Hummer aus der Höhle kommt. Er erwartet dann andere Eltern als die, die er vor seinem Rückzug erlebt hat. Manchmal braucht er Mutter und Vater gar nicht mehr, oder er braucht sie anders als früher. Um sich lösen zu können, muss er seine Eltern schlechtmachen, sie abwerten. Von Watte-Eltern, die für alles Verständnis haben, von kumpelhaften Eltern, die sich als Verbündete und besten Freund betrachten, können sich Heranwachsende nur schwer lösen. Ihnen fehlen dann eine Reibefläche und die Möglichkeitzur Abgrenzung. Jugendliche können allerdings auch nicht sonderlich mit der umgekehrten Reaktion umgehen, mit Eltern, die die Abgrenzungswünsche der Pubertierenden mit gekränktem Rückzug beantworten. Und es ist ja schwer, die Widersprüche Pubertierender auszuhalten: Einerseits praktizieren sie Ablösung durch vehemente, oftmals überzogene Ablehnung und verbale Herabwürdigung, andererseits brauchen
Weitere Kostenlose Bücher