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Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Titel: Pubertät – Loslassen und Haltgeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Rogge
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sie das Gefühl der Zugehörigkeit, der inneren Verbundenheit. Eltern stehen für Schutz, Geborgenheit, für gemeinsame Vorstellungen und Überzeugungen. Indem Heranwachsende durch negatives Tun die Beziehungen auf eine Probe stellen, testen sie auch aus, wie fest das Familienband wirklich ist und welche Belastungen es aushält.
    Heranwachsende können die vielfältigen Veränderungen, die mit der Pubertät einhergehen, umso positiver erleben, je deutlicher Eltern die Veränderungen der eigenen Person als produktive Herausforderungen vorleben. Die Erfahrung der Unvollkommenheit können Heranwachsende dann als Chance begreifen, wenn sie Eltern haben, die offen zu ihren Fehlern stehen.
    Pubertierende durchleben ihr anstrengendes Entwicklungsstadium umso selbstbewusster, wenn sie spüren, dass es den eigenen Eltern gutgeht. Pubertierende können Eltern dann entspannter loslassen, wenn sie eine emotionale und geistig-seelische Stabilität ihrer Eltern spüren. Stabilität ist nicht mit Perfektionismus zu verwechseln, sondern bedeutet eine Balance, einen Zustand mit Höhen und Tiefen, mit Glück und Trauer. Stabilität hat mit dem erfrischenden Wasser der Oase und der sengenden Sonne der Wüste zu tun. Pubertierende brauchen Eltern, die die Mühen der Ebene als persönliche Herausforderung begreifen.
    «Ich will doch nur dein Bestes!»
    Viele Eltern riskieren keine Konflikte. Wer jedoch Harmonie um der Harmonie willen praktiziert, Kindern keinen Frust zumutet, der verwöhnt sie grenzenlos.
    Ein solcher Perfektionismus speist sich häufig aus einer «Ich-will-doch-nur-dein-Bestes»-Mentalität. Man macht utopische Pläne, verkennt dabei die Neigungen und die Kompetenzen der Kinder, übersieht ihre Wünsche und konkreten Interessen. Dies erzeugt häufig Protest und Leistungsverweigerung auf Seiten der Heranwachsenden. Auch wenn eine «Ich-will-doch-nur-dein-Bestes»-Haltung zumeist im Namen des Kindes formuliert wird, verkennt sie oft dessen Einzigartigkeit. Wer hingegen realistisch auf die Entwicklungsprozesse des Kindes eingeht, verwöhnt es nicht. Verwöhnen heißt, entweder keine oder zu enge Grenzen zu setzen. Verwöhnen drückt Überbehütung aus oder will Beziehungslosigkeit im Zusammenleben kompensieren.
    Eine «Ich-will-doch-nur-dein-Bestes»-Haltung lässt nicht wirklich los. Loslassen von Jugendlichen heißt: Nehmen Sie Abschied von der Vorstellung, Ihre Kinder vor Krisen bewahren zu können. Manche Eltern lösen sich oberflächlich, wollen jedoch keinen Misserfolg ihrer Kinder und binden sie so wieder an sich. Loslassen heißt: Lassen Sie Ihre Kinder ziehen, aber begleiten Sie sie innerlich. Ansonsten empfinden Jugendliche die Ablösung von den Eltern als Rauswurf, gar als elterliche Abwendung oder Rückzug aus gekränkter Eitelkeit.
     
    Eine weitere Facette des Perfektionismus findet sich in einer Haltung wieder, die alles anders machen will. Mir fällt auf: Viele Eltern nehmen die eigenen Eltern wenig distanziert wahr. Und dabei erinnern sie zunächst Niederlagen, denken daran, was schlecht war, wollen durch die Erziehung ihrer eigenen Kinder Wiedergutmachung leisten, Versäumtes nachholen, den eigenenEltern nachträglich zeigen, wie
man
richtig erzieht. Die Folgen sind in der Regel kontraproduktiv: Diese Eltern geraten schnell in eine therapeutische Haltung zu ihrem pubertierenden Kind, machen sich unverzichtbar, inszenieren sich als Person, die dem Heranwachsenden alle Wünsche von den Lippen abliest und dabei die eigenen Bedürfnisse vergisst. Oder die Heranwachsenden müssen Sehnsüchte und Wünsche, die die Eltern nicht ausleben oder umsetzen konnten, nun erfüllen – und dies ungeachtet individueller Voraussetzungen und Kompetenzen. Manches Mal geraten Eltern, die alles anders machen wollen, vom Regen in die Traufe. D. h., sie schlittern von einem Extrem ins andere und verlieren die Balance, sodass am Ende die selbstmitleidige Erkenntnis steht: «Wie man es macht, macht man es verkehrt!»
    Die Situation auf einem Seminar: Angela, 14   Jahre, ist ein fröhliches Mädchen, sitzt mir selbstbewusst lächelnd mit ihrer Mutter gegenüber. Die Mutter hatte sich angemeldet, weil sie sich in der Erziehung bemühe, alles richtig und anders zu machen, aber nichts funktioniere wirklich. Es sei wie verhext, alles, was sie sich überlegt und geplant habe, gehe regelmäßig schief. Angela sitzt nun schon eine Weile im Seminar und hört den Erzählungen anderer Teilnehmer zu. Schließlich fragt sie, ob sie ein

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