Pubertaet - wenn Erziehen nicht mehr geht
denke, Sie sollten zunächst Ihrem Zorn, Ihrer Kränkung und Verletztheit Ausdruck verleihen, und zwar in einem Gespräch, in dem Sie ihm so klar und emotional wie möglich zu verstehen geben, was er Ihnen zumutet, und dass Sie etwas Ähnliches nie wieder erleben wollen. Niemals! Unter keinen Umständen!
Sie können natürlich auch eine Strafe verhängen, doch sollten Sie wissen, dass Strafen äußerst selten einen konstruktiven Effekt haben. In der Regel wirken sie sich destruktiv auf das Kind und die Beziehung aus. Manchmal helfen die Strafen den Eltern, sich als konsequente, verantwortungsvolle Erzieher zu fühlen, doch auch dieser Effekt ist leider nur von kurzer Dauer. Im Falle Ihres Sohnes besteht hingegen die Gefahr, dass er mit
Gleichgültigkeit reagiert und auch gleichgültig sich selbst gegenüber wird: »Fuck the world!«
Und von dort aus ist der Weg zu selbstdestruktivem Verhalten nicht mehr weit.
Wenn Sie nach ein paar Tagen spüren, dass Sie sprichwörtlich »leer« sind, weil Sie sich aller Worte und Gefühle entledigt haben - abgesehen von der Trauer, dem Schmerz und der Liebe -, ist die Zeit reif, sich damit zu beschäftigen, wie es ihm geht und in den letzten Jahren ergangen ist. Womöglich brauchen Sie dazu professionelle Hilfe, doch bezweifle ich, dass er damit einverstanden sein wird.
Der Kern dieser Gespräche wird sicherlich sein, dass er größere Freiheit, weniger Einmischung und Kontrolle und viel mehr Vertrauen verlangt - und das sind auch tatsächlich die Dinge, die er braucht. Er konnte nicht erwachsen werden, ohne Sie zu kränken, doch nun ist es für Sie an der Zeit, ihn loszulassen und Ihre alte Mutterrolle aufzugeben. In dieser Rolle braucht er Sie nicht mehr, doch braucht er Sie umso mehr als Sparringspartnerin und liebevolle Zeugin seines Lebens.
Wenn Sie Probleme haben, ihm zu vertrauen, so möchte ich Ihnen sicherheitshalber sagen, welche Art von Vertrauen ich meine: Ihr absolutes Vertrauen darin, dass er das Beste tut, was ihm möglich ist - und zwar mit den Karten, die ihm das Leben in die Hand gegeben hat. Wir wissen alle, dass das Blatt nie perfekt ist, doch können Sie ruhig schlafen, in der Gewissheit, einen enormen Einsatz geleistet zu haben, der dazu beigetragen hat, ihn dorthin zu bringen, wo er sich heute befindet. Mehr kann niemand von Ihnen verlangen, doch die Belohnung wird sich erst einstellen, wenn er die letzte Wegstrecke allein gegangen und ein erwachsener Mann geworden ist, der seine Mutter mehr mit Stolz als mit Kummer erfüllt. Das kann noch zehn Jahre dauern, aber es lohnt sich, darauf zu warten.
»Der Kühlschrank ist leer«: Seinen eigenen Weg finden
LIEBER JESPER JUUL,
ich habe große Schwierigkeiten mit mir selbst. Ich habe Angst davor, was andere über mich denken, und das hemmt mich so im Alltag, dass ich ein sehr begrenztes Leben führe. Ich traue mich nie, ganz ich selbst zu sein, und traue mich auch nicht, ein guter Schüler zu sein, damit andere nicht denken, ich würde Tag und Nacht pauken. Das führt natürlich dazu, dass ich sehr egozentrisch, niedergeschlagen und gereizt bin.
Vielleicht ist das ja auch ziemlich normal, wenn man 17 Jahre alt ist, aber die Sache ist die, dass meine beiden Brüder (20 und 23 Jahre) genau dieselben Verhaltensmuster zeigen. Beide nehmen Antidepressiva und haben im Großen und Ganzen dieselben Schwierigkeiten wie ich. Der Älteste hat jetzt eine Ausbildung angefangen, aber seine sozialen Probleme machen ihm so zu schaffen, dass er den Job vermutlich bald hinschmeißen wird. Eine andere Ausbildung hat er ebenfalls nach ein paar Wochen wieder abgebrochen. Mein mittlerer Bruder ist sozial vollkommen isoliert, hockt nur vor seinen Computerspielen und meidet jeden Kontakt mit anderen Menschen.
Ich bin mir sicher, dass es etwas mit meinen Eltern zu tun hat, weiß aber nicht genau, was. Kurz nach meiner Geburt hatte mein Vater einen psychischen Zusammenbruch, wurde vorübergehend in eine psychiatrische Klinik eingeliefert und hat seitdem nicht mehr gearbeitet. Er ist übergewichtig, sehr passiv, aber gutmütig und clever.
Meine Mutter hat sozial überhaupt keine Schwierigkeiten. Sie hat eine Menge Freunde und tut alles für ihre Familie. Dennoch sagt sie, dass sie wegen ihrer Überlastung ständig erschöpft
ist und sich scheiden lassen will. Ihr Familienleben hat sie sich bestimmt mal anders vorgestellt, und eigentlich tut sie mir leid. Wir sind im Allgemeinen sehr offen in unserer Familie und reden über viele
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