Pubertaet - wenn Erziehen nicht mehr geht
was sie zu tun gedenke, und wollte von mir wissen, was ich an ihrer Stelle tun würde.
Als erste Sanktion hatte sie bereits den Computer aus Kaspers Zimmer entfernt und weggeschlossen. Wenn Kasper nach Hause kommt, will sie ihm auch gleich sein Handy abknöpfen. Über weitere Maßnahmen war sie sich noch nicht im Klaren. Natürlich weiß sie, dass es andere Schritte braucht, als nur sein persönliches Eigentum zu konfiszieren, doch wie diese Schritte aussehen sollen, das ist die Frage.
Von der Notwendigkeit dieser Sanktionen ist sie vollkommen überzeugt, damit Kasper nicht daran zweifeln kann, wie ernst ihr die Sache ist.
Während unseres Gesprächs steckte sie mich förmlich mit ihrer Wut an. Wenn Kasper mein Sohn wäre, sagte ich ihr, dann dürfte er die Wohnung erst wieder verlassen, nachdem er sich in aller Form und von ganzem Herzen dafür entschuldigt hätte, dass er mich angelogen hat und über mich hergezogen ist, ganz gleich, wie viele Tage das dauern würde. Nicht einmal zur Schule würde ich ihn lassen, sagte ich, ehe die Sache nicht aus der Welt geräumt sei.
Darüber hinaus erklärte ich ihr, dass sie ihn klipp und klar mit den Konsequenzen seines Verhaltens konfrontieren und den Familientherapeuten verständigen sollte, der auch ihr damals geholfen hat. Und wenn sich sein Verhalten nicht ändern würde, fügte ich hinzu, dann würde auch aus seinem Schulwechsel aufs Internat nichts werden, da sie sich ja schließlich nicht auf ihn verlassen könne, wenn sie ihn zu lange aus den Augen lässt.
Ich habe keine Ahnung, ob das wirklich die richtigen Maßnahmen wären, doch wenn wir jetzt nicht effektiv eingreifen,
dann fürchte ich sehr, dass er auf die schiefe Bahn gerät. Was raten Sie uns in dieser Situation?
Mit freundlichen Grüßen
ANTWORT
Ich möchte zunächst Ihrer Schwester ein Kompliment dafür aussprechen, dass sie Sie angerufen hat, statt ihrem Sohn gegenüber zu explodieren - und Ihnen beiden für Ihr Engagement und Ihre Zweifel. Das Folgende richtet sich an Ihre Schwester:
In der Pubertät erhalten wir Eltern sowohl unsere wohlverdiente Belohnung als auch unsere wohlverdiente Strafe, doch beides geschieht oft zu einem unvorhergesehenen Zeitpunkt sowie in unerwarteter Form. Sie erleben gerade einen klassischen Aufruhr Ihres Sohnes, der plötzlich alle Spielregeln über den Haufen wirft und somit die ebenso klassischen Reaktionen der Erwachsenen auslöst: Konsequenzen, Strafe, Freiheitsberaubung. Bevor ich mich dazu äußere, möchte ich Ihnen sagen, dass Ihr Verhalten in dieser Situation einem dreifachen Zweck dienen sollte. Zum Ersten muss Ihre persönliche Kränkung ernst genommen werden. Zum Zweiten muss das Verhältnis zu Ihrem Sohn erneuert und verbessert werden. Und zum Dritten muss seine Zukunft so konstruktiv wie möglich beeinflusst werden.
Denn eines ist sicher: Ihr Sohn hat lange Zeit einen gewaltigen Zorn mit sich herumgetragen, den er bis jetzt in sich eingeschlossen und vor Ihnen verborgen hat. Ich vermute, dies hängt mit seinem lebenslangen Status als »problematisches Kind« und vermutlich auch mit dem Verlauf Ihrer früheren Familientherapie zusammen. Möglicherweise haben danach einige Dinge - nach dem Maßstab von Erwachsenen - besser »funktioniert«, doch ist Kasper als Mensch womöglich zu wenig Beachtung geschenkt worden.
Die Wortwahl in seiner Mail lässt auf einen Jungen schließen, der sich lange Zeit unfrei, übersehen und nicht ernst genommen gefühlt hat. Dann hat er ein Mädchen im Internet kennengelernt, von dem er sich offenbar verstanden fühlt, und schon kommt sein ganzer Zorn zum Ausdruck. Vielleicht hätte er ihn ein Leben lang vor Ihnen versteckt gehalten, wenn Sie seine Mail nicht gelesen hätten.
Das muss Ihnen natürlich extrem ungerecht vorkommen, da Sie so viel Energie und Gefühle mobilisiert haben, damit es ihm gut geht und Ihre Beziehung sich verbessert. Doch muss ich l eider hinzufügen, dass dies Ihre freie Entscheidung war und nichts, worum Kasper gebeten hat oder was er sich hätte verbitten können. Es sind diese Entscheidungen, die wir Eltern in der Hoffnung treffen, das Richtige zu tun. Sicher sein können wir uns natürlich nie.
Darum müssen Sie für Ihre Entscheidung die Verantwortung übernehmen, statt die Dankbarkeit Ihres Sohnes zu erwarten. Paradoxerweise ist es ja umso schwieriger, einem Elternteil, der sich intensiv engagiert, seine Meinung zu sagen, als jemanden, der sich nachlässiger und gleichgültiger verhält.
Ich
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