Puck
Trommel, in seinen Pappkarton.
Am Nachmittag kam im Aufträge Renes eine Sendung an >Herrn Puck Bentz< und dazu ein Zettel mit der Bemerkung: »Wenn Ihr das bekommt, fahre ich schon.« Die Sendung bestand aus einem nagelneuen Schlafkorb, Bürste und Kamm, Augenwasser, Waschlappen und seinem Gummibällchen. Dora verschwand, die Wohnungstür stand offen, oben klappte die Bodentür. Nach einer Weile erschien sie wieder mit einem Keilkissen, das sie in Windeseile zu einer Matratze umarbeitete. Nun packte es auch das Frauchen. Sie jagte in die Drogerie und kam mit Flohpulver zurück. Dann zerriß sie mit Dora ein altes Laken und begann ein Monogramm zu sticken, während mir die alte Kamelhaardecke einfiel, die mich in längst entschwundener Jugend auf allen Wanderfahrten begleitet hatte, ein Geschenk meiner guten Mutter, das ich ab und zu in sentimentalen Augenblicken betrachtete. Ich ernannte sie zu seiner Schlafdecke, und nun war Pucks Ausstattung vorläufig komplett. Für seine Toilettenartikel wurde eine alte Blechschachtel organisiert, und oft des Abends, wenn ich ihn zugedeckt hatte, besah ich sein kleines Inventar, die Bürste, das Augenwasser, das Läppchen, das Halsband und sein Spielbällchen.
Und so warst du, Puck, wirklich und endgültig in unser Leben eingetreten.
Heimat
Es sei nicht verschwiegen, daß diese unvorhergesehene Vermehrung der Familie nicht ohne innere Kämpfe und schwere Bedenken von uns akzeptiert wurde, besonders von mir. Am Abend, als Puck zum erstenmal im Badezimmer im neuen Körbchen und unter meiner alten Decke schlief, brach das alles aus mir heraus.
»An sich«, sagte ich zum Frauchen, die auf dem Rand der Wanne neben Puck balancierte, »ist das, was wir getan haben, der helle Wahnsinn. René hat sich sehr bequem gedrückt und uns ganz schön ‘reingelegt, um nicht zu sagen erpreßt.«
Sie betrachtete das kleine Wesen, das sich unter der Decke herumwarf und vorwurfsvoll, ob der späten Helligkeit, ein schläfriges Auge aufschlug: »Aber im Interesse des Tieres...«
»Gerade in seinem Interesse wäre es besser gewesen, er wäre mit René gegangen! Mach dir doch unsere Situation klar: Man hat mich an der Zeitung als politisch unzuverlässig degradiert und nur behalten, weil man glaubt, daß man mich für den unpolitischen Teil braucht. Deshalb traut man mir aber noch lange nicht und beobachtet mich. Jeder Tag ist ein Balanceakt! Ein Wort zuviel, und ich bin erledigt. Vielleicht kostet’s mich nur die Stellung. Aber wenn man auf unseren Stammgast-Betrieb hier kommt, wenn man herausfindet, daß wir Verfolgte bei uns beherbergen, dann sind wir erledigt.«
»Aber es klappt doch alles tadellos! Sie haben ihre gepackten Taschen immer zur Hand und springen aus dem Badezimmerfenster, sobald ein Fremder kommt. Sie erscheinen bei Dunkelheit und gehen am frühen Morgen — was soll schon passieren?«
»Und Dora?«
»Absolut zuverlässig.«
»Und Willi Meier, der Hausmeister? Ich wette, daß er sie schon aus dem Fenster hat hupfen sehen. Der sieht alles.«
»Alter Sozi.«
»Was weiß man von seinem Leben? Sie haben die meisten Hausmeister zur Spitzelei gezwungen.«
»Nicht den, sonst hätte man uns längst abgeholt.«
»Darauf würde ich mich nicht verlassen, mein Kind. Wachen wir nicht bei jedem Wagen auf, der nachts vor dem Haus hält, und horchen mit klappernden Zähnen, während wir unsere Stammgäste ins Bad schleichen hören? Und neben all dieser Nervenbelastung haben wir uns noch diesen kleinen Hanswurst hier aufhalsen lassen.«
Sie stand auf, hockte sich neben das Körbchen, nahm die Decke ab und begann Puck stumm abzusuchen: »Da habe ich einen — einen ganz großen, kohlschwarz!« sagte sie und knackte etwas auf den Fliesen. »Wahrscheinlich hat er den von der Mona, der Kerry-Blue-Hündin von den Lucius’ nebenan.«
»Ist das alles, was du zu diesem Fall zu sagen hast?«
Sie blickte zu mir auf: »Ja. Hast du noch was zu sagen?«
Ich zuckte die Achseln, drehte mich um und setzte mich in meine >Trostecke< an das große, neue Radio, die einzige Verbindung zur freien Welt, die noch geblieben war.
In der Folgezeit stellte sich jedoch heraus, daß die Ankunft Pucks keine gefährliche Mehrbelastung, sondern eine Gnade des Schicksals war. Damals, zum ersten Male, wurde ich darauf aufmerksam, in wie wunderbarer und seltsamer Weise unser Lebensfaden gesponnen wird und wie schwer es für uns ist, das Muster zu erkennen, wie wir immer wieder etwas als Unglück oder Belastung
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